"Es bleibt die Hoffnung, dass unsere Kinder rebellieren"

Henrik Abrahams

Papa muss was gucken!
Smartphones lockern den Alltag mit Kindern auf – leider so sehr, dass Nils Husmann findet: Eltern sollten ihre Handys öfter mal weglegen
Tim Wegner
15.09.2015
Als ich wusste, dass ich Vater werde, fragte ich mich: Welche erste Erinnerung wird das Kind später an mich haben? Wäre doch toll, dachte ich, wenn es Freunden später einmal erzählen würde: "Papa? Der hat immer gelesen!" Der Junge ist heute fast sechs Jahre alt und hat eine Schwester, zweieinhalb. Neulich kam sie auf mich zu, als wollte sie mir einen Schatz bringen. "Hier, Papa, dein Handy."
 

Der Autor

###drp|h80P3pgVXQgw7GZ-CenxBh7u00080420|i-43||### Nils Husmann, 39, ist chrismon-Redakteur und Vater von zwei Kindern, zwei und fünf Jahre alt. Das Telefon ganz zu Hause lassen? Geht auch nicht – es könnte ja was passieren.

Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, die Kinder sehen mich oft lesen. Aber das Medium ist mir irgendwie unangenehm. Sie werden mich nicht in Erinnerung haben als einen Vater, der um eine ruhige halbe Stunde bittet, für ein paar Seiten in einem dicken Roman. Sie sehen mich selten in Magazinen blättern – wie ich als Kind meinen großen Bruder, der mir das Weltgeschehen zu erklären versuchte; in seinem Zimmer stapelte er jede Aus­gabe des "Spiegels". Meine Kinder werden sich wohl nur daran er­innern, wie sich das Display des Smartphones in meinen Brillen­gläsern spiegelt. Wie ich über ein kleines Gerät wische. Wie ich sage: "Papa muss nur kurz was gucken." Wie ich nicht ganz bei der Sache bin. Oder besser gesagt: bei ihnen, den Kindern. Das geht nicht nur mir so. Neulich kam ein Vater auf den Spielplatz. Seine Töchter rannten zur Rutsche, er setzte sich etwas abseits auf eine Bank und zückte sein Smartphone. Meines lag in der Wickeltasche, und so muss er wohl beschlossen haben, dass ich auf seine Kinder aufpassen könnte, während er in die virtuelle Parallelwelt entschwand. Schnell machten sich meine Kinder mit den beiden Mädchen auf den Brombeerhang davon, ich hinterher.
 
2007 brachte der Apple-Konzern das "iPhone" auf den Markt, nicht einmal zehn Jahre ist das her. Andere Anbieter, andere Modelle folgten, mittlerweile sind die meisten verkauften Handys Smartphones. 2009 wurde unser Sohn geboren. Seitdem haben diese Geräte die Welt verändert. Die analoge Zeit kommt nicht mehr zurück. Unsere Kinder werden sie nur aus Erzählungen kennen. Über 45 Millionen Menschen in Deutschland haben ein Smartphone, mit dem sie ins Netz gehen können, immer und fast überall. Das ist extrem nützlich – gerade für Eltern, die arbeiten. Schon oft habe ich abends schnell noch ein paar E-Mails vom Sofa aus verschickt und konnte mir deshalb am nächsten Morgen im Kindergarten mehr Zeit lassen. Aber trotzdem fange ich an, die Smartphones zu ­hassen. Oder meinen Umgang damit. Wir versauen unseren ­Kindern die Kindheit und merken es nicht einmal.

Alles mit dem Smartphone erledigen – außer Telefonieren

Ich habe zwei Mal sieben Monate mit meinen Kindern zu ­Hause verbracht, als sie noch Babys waren. Elternzeit. Heute ­teilen meine Frau und ich uns die Nachmittage auf, jeden zweiten ­Arbeitstag hole ich die Kinder aus der Kita ab, gegen 16 Uhr, dann sind es noch zwei Stunden bis zum Abendbrot. Es kann sterbenslangweilig sein, Zeit mit Kindern zu verbringen. Sie brauchen einen Rhythmus. Wenn das Essen eine halbe Stunde zu spät auf den Tisch kommt, haben sie üble Laune. Wenn ich den Großen überredet habe, ein Hörspiel in den CD-Spieler zu legen, sehe ich mich einem kleinen Mädchen gegenüber, das darauf besteht, ein Buch anzuschauen. Derzeit ist es ein Wimmelbuch. "Ob Tim sich wohl traut, das Krokodil mit ins Schwimmbecken zu nehmen?" Wer zig Mal solche Sätze vorliest, bringt Kindern nicht immer die Aufmerksamkeit entgegen, die sie verdienen.
 
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Genau diese Eintönigkeit macht das Smartphone zu einer perfiden Erfindung für Eltern, weil in der virtuellen Welt immer etwas passiert. Ich fragte eine befreundete Familie – natürlich per Nachricht über unsere Threema-Gruppe: "Bitte mal ehrlich antworten: Guckt ihr oft aufs Smartphone, wenn ihr mit den ­Kindern unterwegs seid?" Lise antwortete sofort: "Ich mache das. Ich fühle mich sonst zu sehr von der Gesellschaft und dem Tagesge­schehen ausgeschlossen." Es geht mir wie Lise. Wie ausgeschlossen ­müssen ­sich Eltern im analogen Zeitalter gefühlt haben? Hatten die immer ein Buch mit auf dem Spielplatz?
 
Bei mir sind es Nachrichtenseiten, die mich immer wieder aufs Display schauen lassen, Mails, dienstlich und privat. Und die Neuig­keiten zu meinem Lieblingsverein auf Twitter. Selbst die Hiobsbotschaft über den Trainingsunfall reißt mich aus dem Kindertrott. Manchmal kriege ich schlechte Laune, wenn Twitter nichts Neues vermeldet, so banal es auch sein mag. Aber dann gibt es ja noch die diversen Chats und Messengers. Vielleicht kommen die Nachbarn ja auch gleich noch raus? Schnell mal per Nachricht nachgefragt! Auf die Idee, einfach mal bei ihnen zu klingeln oder – total verrückt – anzurufen, komme ich gar nicht mehr. Dabei fingere ich die ganze Zeit an einem Gerät rum, das auch telefonieren kann. Aber da geht es mir nicht anders als anderen Nutzern. Viele sind dreieinhalb Stunden am Tag mit ihrem Smartphone zugange. Um online zu sein, um einzu­kaufen, um Nachrichten zu verschicken – aber kaum mehr zum Telefonieren.
 
Als Vater kleiner Kinder finde ich besonders die Morgenstunden und die Abende fies. Morgens ist immer Stress, damit wir pünktlich loskommen. Abends schleichen wir uns aus dem Kinderzimmer ins Chaos. Der Esstisch ist mit Butter verschmiert, der Käse schwitzt schon, und unter den Füßen knirscht der Sand, weil die Kinder wieder mit Schuhen reingerannt sind. Bis alles wieder bewohnbar ist, ist es schnell 21 Uhr geworden. Und dann? Erst mal am Smartphone was lesen, runterkommen, entspannen.

"Haben wir Eltern das Handy im Griff oder andersherum?"

So ein Stress! Aber woher kommt diese Hektik? Was kann ich ändern? Ich grübelte. Kinder sind toll, auch wenn sie mitunter nerven! Aber gehört das Handy auch zur Familie? Nein! Und wenn ich mich immer wieder vom Smartphone ablenken lasse, statt schon mal die Gläser in die Spülmaschine zu räumen, fehlen mir am Tagesende ein paar Momente, die ich für mich haben könnte. Ich erklärte die Samstage für mich zum "smartphone­freien Tag". Es war hart! Immer wieder schlich ich an der Schub­lade vorbei, in der das ausgeschaltete Telefon lag. Wenn die Kinder im Spiel versunken waren, ertappte ich mich dabei, das Handy zu suchen. Aber nach einer Weile gewöhnte ich mich daran – und beobachtete Dinge, die mir sonst entgangen wären. Ich sah, wie schön der Große mit seiner Schwester spielt. Ich guckte zu, wie er sie fürsorglich auf dem Spielplatz von einem Absatz herunterhob. Ich registrierte, dass die Kleine lustig-schöne Sätze bildete. Meine Frau sagte, ich sei ruhiger gewesen, ausgeglichener, gut gelaunt.
 
Niemand muss das nachmachen, aber mir geht es besser damit. Und natürlich erliege ich auf dem Spielplatz der Verlockung und gehe eine Twitterei ein. Das macht Spaß. Vielleicht waren Eltern auch nie aufmerksamer und sensibler für die Bedürfnisse ihrer Kinder als heute. Vielleicht sind wir wirklich die "Generation Helikoptereltern", die alles richtig machen will und die sich ihre kleinen Tagesfluchten redlich verdient hat. Vielleicht muss man den Smartphone-Anbietern dankbar für ihre Erfindung sein, weil die Dinger uns Eltern davon abhalten, den Kindern auch noch auf den letzten Baum hinterherzuklettern, damit sie sich ja nicht verletzen. Trotzdem lohnt es sich zu fragen: Haben wir Eltern das Handy ­im Griff, oder haben die Smartphones uns in der Hand? Wir sollten sie weglegen, wenigstens ab und zu. Unsere Kinder werden die Dinger sonst noch für Körperteile halten und sich wundern, warum der liebe Gott ihnen keines hat aus den Fingern wachsen lassen. Und wir dürfen uns nicht wundern, wenn sie in zehn Jahren im Dauersurfmodus leben. Wir haben es ihnen ja vorgelebt.
 
So weit sollten wir es nicht kommen lassen. Sonst bliebe nur die Hoffnung, dass die Jugend ja gelegentlich gegen die Eltern rebelliert. Ich würde mir jetzt schon wünschen, dass mein Sohn zu mir sagt. "Leg doch dein Handy endlich mal weg, ich will mit dir reden!" Meine Frau hat die Vorstufe schon erlebt. Sie kochte, das Rezept war im Smartphone aufgerufen, und unser Sohn fragte sie: "Erklärst du Leuten auch Rezepte übers Handy?" – "Nein!" – "Warum denn nicht, du wohnst doch im Handy!"
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Ich bin Smartphone Opa und ich werde nicht vom SP beherrscht! 3 Enkel haben wir jetzt und ich bin glücklich, mit jedem (2 Mon. /7 J. /9 J.) altersgemäß etwas unternehmen zu können, ohne das SP zu benutzen. Außer natürlich Treffpunkte o. ä., aber selbst das könnte man "ohne" vorher gut absprechen. Aber da komme ich zu einem Punkt: alles muss heute kurzfristig geändert werden, es sind min. 12 Telefonate mit 14 Leuten notwendig, um alles neu zu vereinbaren! Punkt 2 aber ist noch schlimmer: beim Unterhalten wird einfach auf dem SP herumgetippt. Man fragt: "Hörst Du mir zu?"....Antwort:"Jaja, sprich nur weiter, ich muss hier nur grad' mal blablabla.....". Dämlich ist das einfach und eine Nichtachtung der Person gegenüber.

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Lieber Nils Husmann, vielen Dank für diesen so großartigen wie erschreckenden Artikel! Sie sprechen mir und vielen meiner "Wir halten uns für intelligente Bildungsbürger"-Freunde aus der Seele, und zwar in allen Details. Ich werde den smartphonefreuen Samstag auch ausprobieren.
Viele Grüße,
Christin

Liebe Christin, herzlichen Dank für das Kompliment! Ich bin gespannt, wie Ihnen der smartphonefreie Tag gefällt. Für mich war das anfangs eine echte Herausforderung, so sehr sind diese Geräte schon als Alltagsbegleiter etabliert. Also:schönen Samstag!

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Sehr geehrte Damen und Herrn,

sehr geehrter Herr Husmann,

hallo Nils!

Ich schätze Ihr Magazin sehr, da es oft fundiert, kritisch und unabhängig unsere Gesellschaft beleuchtet-ganz

im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen die unreflektiert und manipulativ berichten.

 

Auch ich bin Jahrgang 76 und Vater von zwei Kindern (1 und 4), mithin sind wir eine

Generation und Teilen gerade eine Lebensphase.

 

Einigermaßen erstaunt, dann zunehmend kopfschüttelnd las ich den o.a. Artikel.

Zu Beginn dachte ich, dass ich versteckter Ironie anheim gefallen sein könnte.

Doch mitnichten, ich erkannte den Ernst der Lage und mussten laut aufschreien.

 

Wenn selbst intelligente und studierte Redakteure heute dermaßen daher

Schreiben, wird mir Angst und Bange um unsere Gesellschaft.

 

Wann endlich hält die ratio wieder Eingang in den Umgang mit neuen Medien?

Wann begreifen wir endlich, dass wir verantwortungsvoll mit jeder neuen Frei-

heit umzugehen haben?

Wann nutzen wir unsere Intelligenz bei der Erziehung unserer Kinder?

 

Macht euch doch keinen Stress:

Beschwer´ dich nicht über den Sand unter den Füßen. Lass´ die Kinder die

Schuhe vor der Tür ausziehen.

Beklage dich nicht über Gläser auf dem Tisch- müssen eure kids nicht mit

abräumen?

 

Bei den heute smartphone-gesteuerten Erwachsenen denke ich immer

mehr an Zombies.

Hat die Welt da draußen, jeder Baum, jeder Duft, jedes Kinderschreien

nicht mehr Substanz als die virtuelle Welt und oberflächliche Informationen?

Wir lassen uns einlullen von angeblichen wichtigen Informationen, deren

Halbwertzeit der einer Eintagsfliege nicht übersteigt.

 

 

Ein cleverer Bursche hat mal gesagt:“ Aufklärung ist der Ausgang aus

seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Steffen Daun, Essen

 

PS: Ich habe bis heute auf den Besitz eines smartphones verzichtet.

Ich fühle mich nicht ausgeschlossen, bin zufrieden

in meinem Beruf und glücklich mit meiner Frau und meiner

Familie.

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Der Artikel hat jetzt erst meine Aufmerksamkeit gefunden. Ich war beschäftigt- mit meinen Kinder( 13 und 16 Jahre), mit Musik- hören, machen und organisieren, mit Sport, mit meiner Arbeit. Aber nicht mit einem Smartphone, das besitze ich nicht. Ich habe auch nicht vor eins anzuschaffen. Es reicht mir, dass ich mit meinem Handy SMS verschicken kann und gelegentlich nutze ich es zum Telefonieren, mailen geht ja zum Glück noch mit dem PC. In der U-Bahn gehöre ich zu der aussterbenden Spezies, die aus dem Fenster schaut( das geht in HH) oder ein Buch liest. Ich bin sehr froh, dass meine Tochter dies auch kann. Mich stören aber die Zeitgenossen, die selbst im Klassikkonzert ihr Smartphone checken, die in Bus und Bahn ohne Kopfhörer Sprachnachrichten anhören usw. Leider sind Eltern häufig in diesem Punkt keine guten Vorbilder für ihre Kinder.