Jörg Gläscher
Die Religion braucht den Humor, finden der Opernsänger und der Kabarettist – denn ohne Lachen gibt es keine Erlösung
Lena Uphoff
Tim Wegner
15.08.2014

chrismon: Wie viel Humor verträgt die Religion?

Gunther Emmerlich: Eine ganze Menge! Ich habe fast 700 Mal den Milchmann Tevje aus „Anatevka“ gegeben und mir an dieser Rolle fast schon die Nase krumm gespielt (lacht). Dadurch habe ich ein inniges Verhältnis zum jiddischen Humor entwickelt. Das ist ein ungeheuer sympathischer Humor, weil diejenigen, die Gebrauch von ihm machen, die Gabe haben, über sich selbst zu lachen. Ich kenne keinen Polizistenwitz, den sich die Polizei selbst ausgedacht hat. Religion und Humor schließen sich also nicht aus. Wir hatten auch mal einen Pfarrer bei uns in Dresden auf dem Weißen Hirschen, Andreas Beuchel. Der begann den Gottesdienst sehr oft mit einem Witz oder einer humorigen Geschichte. Und es passte immer.

Lars Reichow: Jede Religion muss ihre hohen Ansprüche immer wieder mit dem kleinen Menschen ins Verhältnis setzen – und dieser kleine Mensch fehlt und sündigt ja immerzu. Deswegen braucht er auch ganz nötig Humor, um sich aus dieser ausweglosen Situation herauszuarbeiten.

Die Reformatoren um Martin Luther haben schon vor 500 Jahren mit Karikaturen gearbeitet; eine zeigte den Papst in Gestalt eines Esels. Muss man, wenn man das Tradierte infrage stellen will, auch zu Mitteln des geschmacklosen Humors greifen?

Emmerlich: Das war nicht geschmacklos. Wir nennen uns Protestanten, und dann will ich auch ab und an den Protest sehen. Auch wenn die römische Kurie es sicher als frevelhaft empfand.

Reichow: Manche Menschen sind schon beleidigt, wenn Jesus oder Gott personifiziert werden. Ich habe mal ein Lied für den Bundesligaverein Mainz 05 geschrieben, darin kam die Zeile vor: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Rasens.“ Ein Riesenaufschrei! Ich wurde sogar zu einem Klärungsgespräch mit Kardinal Lehmann eingeladen, habe diese Zeile aber nicht zurückgenommen. Das konnte ich nicht, weil es in der Welt, in der ich lebe, Menschen gibt, die so empfinden. Sobald Religion zum Thema von Humor wird, sind Empfindlichkeiten programmiert. Damals, zu Luthers Zeiten, allemal, heute aber auch noch.

Emmerlich: Mir sind ein paar Dinge heilig, auch wenn ich das anderen nicht vorschreiben kann. Mit der Aktion von Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale konnte ich mich zum
Beispiel nicht anfreunden: Inhaltlich war das wunderbar, musi­kalisch war es schon nicht mehr so toll – und der Ort hätte ein anderer sein müssen. Ich muss Respekt walten lassen vor der ­Seligkeit der anderen, für die eine Kirche ein heiliger Ort ist.

Reichow: Wenn wir über Religion und Humor reden, müssen wir aber auch mal schauen, was jenseits dieses Humorbereiches so passiert. Im Privatfernsehen ist alles erlaubt, bis hin zur Demütigung von Menschen. Die einen leisten sich alles und rühren schamlos in abartigsten Regionen herum, die anderen machen es mit Niveau. Je intellektueller der Humor ist, desto weniger Menschen erreicht er – leider.

Ein Mann kommt beseelt vom Gottesdienst nach Hause. „Eine schöne Predigt war das“, sagt er glücklich zu seiner Frau. „Warum?“, will sie wissen. „Heute hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass der Pfarrer mich nicht persönlich meint!“ – Hat Humor, der damit spielt, dass Menschen an großer religiöser Strenge scheitern, eine erlösende Wirkung?

Emmerlich: Klar! Es spricht nicht für den Humor des Bischofs, wenn er im Puff seinen Ring vergisst. Dann lachen wir nicht mit ihm, aber über ihn – und über unsere eigenen Schwächen. Also, ein Ventil ist Humor allemal. Wo auch immer sich Themen anstauen und die Lösung – oder Erlösung – nicht gleich zu erwarten ist, ist die Pointe nah. Deshalb hatten wir in der DDR die besseren politischen Witze, weil der Deckel so feste drauf war, dass ein Lacher wie eine Befreiung sein konnte. Ein Beispiel: Ein Flugzeug wird auf dem Flug von Ostberlin nach Prag entführt und landet in Rom. Der Entführer schreibt ein Telegramm an die SED-Führung: „Entweder ich bekomme zwei Millionen West-Mark – oder ich lasse die Geiseln frei.“ Die war so schön unverhofft, die Pointe.

Hilft Humor, die Widersprüche, in die wir uns als Menschen verstricken, zu ertragen?

Emmerlich: Auf einer persönlichen Ebene: ja. Aber gesellschaftlich gesehen wäre mir das zu wenig, weil ich dann von vornherein davon ausgehe, dass sich nichts an den Verhältnissen ändert. Das stört mich bei Kabarettisten, die sich total auf das linke politische Spektrum reduziert haben. Die lachen auf verlorenem Posten und nichts ändert sich.

Reichow: Das ist auch oft verlogen. Sie reden einer linken Gesinnung das Wort – und führen selbst ein völlig anderes Leben. Die fahren, übertrieben gesprochen, in der letzten Gurke zum Auftritt und steigen an der Stadtgrenze wieder in die Limousine um. Es ist ein großes Glück, wenn jemand das, was er als Künstler, Politiker oder Kirchenführer verbreitet, auch lebt. Aber gerade mit diesen Verantwortungsträgern brauchen wir Nachsicht. Es gibt diese unerbittliche Tendenz, dass winzige Fehler zum Verhängnis werden.
 

"Wenn ein Pfarrer keinen Witz erzählen kann, dann soll er es lassen." (Gunther Emmerlich)



Emmerlich: Kennen Sie jemanden, dem das passiert ist?

Reichow: Mir ist das beim Vorschlag der Grünen aufgefallen, in Kantinen einen fleischfreien Tag pro Woche einzuführen. Ich halte das für sinnvoll. Aber heute geht es ums Marketing, und der Vorschlag war nicht gut rübergebracht – und wurde zermalmt. Kurz drüber lachen wäre schöner gewesen, auch angebrachter. Ich will herausfinden, ob jemand nur ungeschickt agiert – oder böse ist. Ich will wissen, wo die Doofen auf den Pos­ten sitzen. Ein dankbarer Fall war das Verhalten des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst, der eben keinen winzigen Fehler begangen, sondern sich tölpelhaft verhalten hat. „Business sind wir geflogen, Business!“ Diese riesigen Augen! Das vergisst niemand. In solchen Momenten kommt der wahre Charakter heraus.

Emmerlich: Das Wahrhaftige spüren die Menschen immer. Wenn ein Pfarrer keinen Witz erzählen kann, dann soll er es lassen.

Reichow: Sonst wären wir im Bereich der unfreiwilligen Komik, ein tolles Feld – auch das kann eine Gemeinde bei Laune halten. Geht alle wieder hin, er wird das Fettnäpfchen treffen!

Emmerlich: Zur Wahrhaftigkeit hat Wolf Biermann zu DDR-Zeiten mal ein schönes Lied geschrieben, „Sie können mich gern haben“: „Ein gewisser Chef vom Fernsehen drückt mir neulich feucht die Hand. ,Guter Biermann, bester Biermann, Sie können bringen, was Sie wollen, auch die schlimmen, auch die dollen Lieder, sagt er, voller Gier. – ‚Was, im Fernsehen?‘ – ‚Nein, bei mir!‘ – ‚Sie dürfen mich gern haben.‘“ Das hat uns aus der Seele gesprochen! So waren die. Die haben öffentlich die Prüderie verkündet und ihre Partys trotzdem gefeiert.

Reichow: Es gibt auch heute Fernsehintendanten, die sagen: „Machen Sie es schön scharf, Herr Reichow, gegen den Ministerpräsidenten!“ Man ist da ja wie ein kleiner Hofclown. Und hinter­her lassen sie es rausschneiden. Es gibt, wenn man Pech hat, eine ganz subtile Art der Karriereausbremsung. Dann engagieren andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten einen Künstler plötzlich auch nicht mehr.

Ist Humor eine Waffe der Schwachen?

Emmerlich: Die Mächtigen können jedenfalls froh sein, wenn sich die Ohnmächtigen noch mit Humor über Wasser halten.

###mehr-extern###Reichow: Es wäre geschickt von einem Diktator, sich ein paar Kabarettisten zu halten. Der Druck, den die Leute verspüren, muss ja irgendwo hin. Das ist heute auch noch so. Ich habe das Glück, in einem Paradies zu leben: an jeder Ecke ein Theater, ein Kabarett, ein Orchester. Ich kann ein witziges Gesprächskonzert machen. Oder im Theater auftreten, obwohl das früher ein Ort war, an dem nie Kabarett stattgefunden hat. Die Grenzen lösen sich auf, weil alle merken, dass Humor wichtig ist. Und da sind wir bei der Kirche: Die braucht auch eine Predigt, bei der die Leute nicht einschlafen.

Gibt es Parallelen zwischen Pfarrern und Kabarettisten?

Reichow: Ganz viele, aber es gibt auch einen großen Unterschied: Im Kabarett können die Leute in der Pause gehen, wenn sie die Vorstellung öde finden – im Gottesdienst nicht. Auf der Bühne habe ich als Kabarettist den Anspruch, meine eigene Haltung ­humorvoll zu verbreiten. Und ich muss mich daran messen ­lassen, ob die Leute zu mir kommen oder nicht. Und das gilt doch für die Kirche auch. Der Pfarrer muss die Leute bewegen. Da muss Druck, da muss Feuer dahinter sein. Aber leider ist die Kirche als Bühne eine Brache. Sie hat den musikalischen Schatz, den kulturellen Schatz – aber was macht sie damit, um die Menschen zu begeistern?
 

"Ein Pfarrer darf auch polarisieren. Nichts ist schlimmer als eine lauwarme Mischung." (Lars Reichow)



Ist es wirklich nur am Pfarrer, die Menschen zu begeistern?

Emmerlich: Oft. Pfarrerinnen und Pfarrer müssen Unterhalter sein, aber überhaupt nicht nur im Sinne von Humor, sondern sie müssen die Leute geistig bei der Stange halten können, damit sie zuhören.

Reichow: Ein Pfarrer darf auch polarisieren. Warum soll er nicht verhasst sein bei einem Teil der Bevölkerung, weil er eine extreme Meinung vertritt? Der FC Bayern wird gehasst – aber auch heiß geliebt. Nichts ist schlimmer als eine lauwarme Mischung.

Martin Luther hat gefordert, die Kirche müsse dem Volk aufs Maul schauen. Tun das unsere Geistlichen genug?

Reichow: Nein! Gähnende Langeweile strahlt mir entgegen! Die einen reden in Rätseln und wickeln die Rituale ab. Die anderen erzählen rührselige Geschichten aus dem Alltag der harmonischen Familie – Vater, Mutter, zwei Kinder. Aber die Geschichten stimmen heute alle nicht mehr. Es gibt Trennungen, es gibt Wochenendbeziehungen, Alleinerziehende. Wer bringt die Kinder wo hin und holt sie wo ab? Viele Pfarrer sind lebensfremd oder sitzen im Elfenbeinturm, da kommen solche Themen nicht vor.

Pfarrer predigen vor dem Kreuz, an dem der leidende Christus hängt. Da ist es natürlich auch schwierig mit dem Witzigsein!

Reichow: Mit Witz muss es gar nichts zu tun haben! Klar, Humor ist schön. Ich kenne viele Menschen, denen strahlt es aus den Augen: „Bitte mach mir etwas Lustiges, damit ich leichter leben kann!“ Mit Humor kann ein Pfarrer nicht alles lösen, ich wünsche mir aber mehr Spannung, mehr Überraschung.

Vor 350 Jahren wurde Molières „Tartuffe“ uraufgeführt, eine Komödie. Es gab Riesenturbulenzen mit der Kirche, weil der Fromme in diesem Stück der Ganove ist. Heute darf man jeden Witz über fromme Menschen reißen. Ist das nicht langweilig?

Emmerlich: Wenn es beliebig oder nur noch verächtlich wird, dann ja. Ich glaube aber auch, dass wir in Deutschland seit 300 Jahren ein Humorproblem haben. Die Franzosen hatten Molière, die Italiener Carlo Goldoni – und die Deutschen Friederike Caro­line Neuber, die Neuberin, und Lessing. Die haben den Hanswurst von der Bühne verbannt und wollten das Heitere nicht. Stattdessen hat Lessing „Minna von Barnhelm“ geschrieben, und das sollte lustig sein – na ja. Wenn uns Deutschen eine gewisse Humorlosigkeit nachgesagt wird, liegt das auch daran, dass uns hundert Jahre an Humortradition fehlen. Erst Curt Goetz war ­vergleichbar mit Molière und Goldoni, Generationen später! Oder Nestroy in Wien: auch viel später. Immerhin hat er erkannt, dass wir den Tod mit Humor überwinden können.

Ist die evangelische Kirche langweilig, weil alles geht – Frauen werden Bischöfin, Geschiedene wieder getraut, Lesben und Schwule gesegnet?

Emmerlich: Die Kirche sollte nicht beliebig werden, sie soll über ihren Weg streiten. Durch die Säkularisierung hat die Kirche an Macht verloren, aber sie kann immer noch Fragen aufwerfen. Wir suchen alle nach Antworten, nach Lösungen – und nach Er­lösung. Hier in der Stadtkirche zu Wittenberg hat der Maler ­Lucas Cranach Figuren aus seiner Zeit mit in das Altarbildnis vom Abendmahl genommen, allen voran Martin Luther. Was für ein Tabubruch das damals war! Wir kleinen Menschen sitzen mit am Tisch des Herrn! Das ist für mich ein 500 Jahre alter Hinweis, dass die Suche nach Erlösung keine Zeit kennt.


Die Stadtkirche St. Marien in Wittenberg

Reichow: Was die Katholiken zuverlässig liefern, sind Päpste und Bischöfe mit extremen Ansichten. Das sorgt für eine bunte Landschaft. Dagegen wirkt die evangelische Kirche sehr vernünftig, aber auch weltoffen. So gesehen – stimmt schon: Irgendwie gibt es bei uns weniger zu lachen.

Emmerlich: Die wichtigste Eigenschaft, um überhaupt lachen zu können, liegt in uns selbst. Ich unterstelle Lucas Cranach einen gewissen Witz, Zeitgenossen auf seinem Altar verewigt zu haben – sofern es Männer waren, die das selbst auch unbedingt wollten. Das wäre ja die pure Eitelkeit. Und die hätte Cranach mit viel Humor aufgedeckt. Eine Formulierung finde ich in diesem Zusammenhang großartig, sie geht auf den kürzlich heiligge­sprochenen Johannes XXIII. zurück: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“ Wenn das der Stellvertreter Gottes auf Erden über sich sagt, beweist das Humor! Ein schöner Satz!
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Man will es Jesus mal so richtig zeigen. Eine Falle stellen, aus der dieser beredete Mann nicht mehr rauskommt. Endweder haben ihn die Frommen am Kanthaken oder die Römer. Soll ein frommer Jude dem Kaiser Steuern zahlen oder nicht? Im Hintergrund gespannte Aufmerksamkeit. Wie will Jesus sich aus dieser Situation befreien?
Er stellt sich dumm. "Zeigt mir eine solche Münze!"
Hm, die Frommen dürften, so wie sie Jesus festnageln wollen, eine solche Münze gar nicht haben. Haben sie aber! Mit dem Bild vom Kaiser, der sich für Gott hält - und von dem soll man doch keine Bilder anfertigen...
"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist..."
Schweigen, dann im Hintergrund leises Lachen! Genial! Er hat es wieder mal geschafft! Wenn die doch sowieso schon die Münze haben, sollen sie doch die Steuer auch zahlen! Und Gott geführt die Ehre! Ist sie nicht viel mehr wert als diese blöde Münze? Gott braucht keine Münzen...
"Du, hast Du schon gehört? Denen hat er es wieder mal gegeben! Richtig gut!"
Wie lange mag man darüber gelacht haben!
Subversiv: Über den Kaiser.
Über die religiöse Führung, die die Form wahrt, aber ihren Glauben verrät.
Erleichtert über Jesus, dass er es wieder geschafft hat.
Und was machten die Protestanten daraus? Eine ganze Staatskirchenlehre, knochentrocken, irgendwie auch lächerlich, aber mit schlimmen Folgen etwa im "Dritten Reich".
Wenn Kirche mehr mit der Frechheit Jesu, seinem Wortwitz und seinem Humor rechnen würde, würde sie ihn in der Bibel auch entdecken - und sie könnte ihn weitergeben. Und lachen. Auch am Altar.

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Martin Luther ging um die Ecke. Was fehlt?

Kathetina von Bora