Ist das geschmacklos? Kann man so sehen. Aber an zahllosen Bundesligaspieltagen ereignen sich unsportlichere Szenen, und manchmal – wie nach dem provokanten Jubel des Hamburger Spielers Piere-Michel Lasogga nach überstandener Relegation des HSV in Fürth – sitzen die Reporter sofort nach Abpfiff zu Gericht. Natürlich nur im übertragenen Sinne.
Am Dienstag waren die TV-Reporter weniger kritisch, sie waren Teil der Feier und animierten die Spieler, richtig loszulegen – indem sie ihre Mikrophone an die Kicker weiterreichten. Und die wollte jubeln, klar. Sie waren als Weltmeister in Berlin gelandet und von Hunderttausenden Fans empfangen worden. Da kann so etwas schon mal passieren.
Es gibt kein Gesetz, das Journalisten zur Begeisterung verpflichtet
Einige Journalisten konnten dieser Geste nichts abgewinnen. Reporter dürfen eine Meinung haben, sie dürfen sie verbreiten und wirken dadurch an der Meinungsbildung mit. Steht so im Grundgesetz. Dagegen gibt es kein Gesetz, das Journalisten zu allgemeiner Begeisterung verpflichtet.
Rieke Havertz, Leiterin von taz.de, und Frank Lübberding von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) kritisierten den Tanz der Sieger als respektlos (taz) und werteten es als gigantisches Eigentor (FAZ). Das ist ihr gutes Recht.
„Journalisten wie Sie braucht dieses Land nun wirklich nicht.“
Was nun wirklich nicht mehr witzig ist, sind die Reaktionen auf Meinungen, wie Rieke Havertz und Frank Lübberding sie vertreten. Da sind einerseits die Kommentare unter ihren Beiträgen. „Bitte nicht schon wieder die ewigen Nörgler mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger“ – immerhin noch eine freundlich vorgetragene Bitte. Es geht auch derber, so muss sich Rieke Havertz sagen lassen: „Journalisten wie Sie braucht dieses Land nun wirklich nicht.“
Die taz hat die Kommentarfunktion mittlerweile gesperrt. Auch auf youtube lässt sich das Video mit dem Tanz nicht kommentieren. Nun mag man einwenden, so sei das nun mal mit den Meinungen im anonymen Netz. Leider – und das ist erst recht nicht lustig – legitimiert aber die auch BILD-Zeitung in ihrer gestrigen Ausgabe (Donnerstag) ein Denken, das hinter diesen Kommentaren steht. Die BILD qualifiziert eine Debatte, in der es letztlich um so etwas wie ein nationales Selbstverständnis geht, als „Gaga-Streit“ herab – um dann auf einer ganzen Seite auszubreiten, dass Deutschland sich endlich locker machen müsse. Das ist nicht nur eine ausgesprochen unlockere, sondern eine sehr verbissene Forderung: Über deutsche Erfolge habe man sich zu erfreuen, andernfalls sei man ein Spielverderber.
Es gab nie ein unverkrampftes Verhältnis der Deutschen zur Nation
Dass das mit der Freude über und dem Stolz auf Deutschland gerade in Deutschland nicht so einfach ist, hat der Autor Dr. Navid Kermani in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag anlässlich der Feierstunde „65 Jahre Grundgesetz" deutlich gemacht. „Es wird oft gesagt, dass die Deutschen endlich wieder ein normales, ein unverkrampftes Verhältnis zu ihrer Nation haben sollten, jetzt, da der Nationalsozialismus doch nun lange genug bewältigt sei. Ich frage mich dann immer, was die Redner meinen: Es gab dieses normale und unverkrampfte Verhältnis nie, auch nicht vor dem Nationalsozialismus. Es gab einen übersteigerten, aggressiven Nationalismus, und es gab als gegenläufige Bewegung eine deutsche Selbstkritik, ein Plädoyer für Europa, eine Wendung ins Weltbürgertum und übrigens auch zur Weltliteratur, die in ihrer Entschlossenheit jedenfalls im 19. Jahrhundert einzigartig war.“
###mehr-extern###Das hat Kermani am 23. Mai zum Geburtstag des Grundgesetzes im Bundestag gesagt – und es hat keine zwei Monate und den Gewinn einer Fußball-Weltmeisterschaft gebraucht, dass eine große Boulevardzeitung Journalistenkollegen über den Mund fährt, die es lieber sähen, wenn Siege bescheidener gefeiert würden.
Tanzende Fußballer kann man lustig finden – aber das ist traurig. Und es bleibt die Frage, ob es der Zeitung dabei nur um Fußball ging.