Mit der Bibel Politik machen?
Reiche kommen nicht in den Himmel, Gewalttäter noch viel weniger! Mit der Bergpredigt in der Hand lässt sich prächtig moralisieren. Doch dabei sollte man unbedingt auf ein paar Feinheiten achten
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
06.08.2013

Es war im Jahr 1983. Drei Palästinenserfamilien aus dem Libanon suchten in der Berliner evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde um Asyl nach. Die Gemeinde half sofort. Denn ein Monat zuvor war Cemal Altun, kurdisch-türkischer Asylbewerber, aus Angst vor seiner Abschiebung aus dem Fenster eines Berliner Gerichtssaales in den Tod gesprungen. Die humanitäre Hilfe für die Palästinenser hatte Erfolg: Sie bewahrte die Betroffenen vor der Abschiebung in das vom Bürgerkrieg geschüttelte Land und führte zu einem generellen Abschiebestopp in den Libanon. Dieser Akt zivilen Ungehorsams gilt als Beginn der modernen kirchlichen Asylbewegung. Bis heute haben in fast 600 Fällen Kirchengemeinden Asyl gewährt. Sie verstecken Ausländer, die um Leben und Gesundheit bangen. Sie tun es öffentlich oder im Geheimen. Und sie berufen sich auf das Gebot: "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt, sollt ihr ihn nicht bedrücken" (3. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 33).

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Mit der Bibel Politik machen? Warum nicht. Sie eignet sich gut dafür. Das Buch der Bücher steckt voller ethischer Empfehlungen. Am bekanntesten sind die Zehn Gebote im Alten Testament und die Bergpredigt im Neuen Testament. Die Zehn Gebote gleichen einem Kalender an Vorschriften ("Du sollst nicht töten", "Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib..."), die Bergpredigt (Matthäusevangelium, Kapitel 5 bis 7) mit ihrem Kernstück, den so genannten Seligpreisungen, eher einer Sammlung aus Lebensweisheiten, moralischen Forderungen und programmatischen Auskünften über das kommende Reich Gottes. Und mittendrin Sätze wie diese: "Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes heißen", "Selig sind die Barmherzigen...", "Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden..."

Allerdings sollte man dem Missverständnis entgehen, dass es in der Bibel für jede Situation eine passende Anleitung gibt. So lässt sich etwa das Gebot "Du sollst nicht töten" allenfalls indirekt gegen die heutige Praxis der Abtreibungen ins Feld führen (die war historisch einfach nicht mitgedacht). Und das jüdische und urchristliche Zinsverbot taugt nicht als Regel für das heutige Bankensystem.

Wer Politik mit der Bibel machen will, muss sie mit Verstand lesen

Aber es ergeben sich aus den Regeln der Bibel wichtige Grundsätze, die bis heute ihre Geltung haben. Eine der Mahnungen Jesu heißt: "Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!" Aus diesem Grund haben die christlichen Kirchen vor dem Irakkrieg gewarnt. Dieses Bibelwort verpflichtet alle Christen, immer wieder streng zu prüfen, wie sie "Feinden" ohne Gewalt begegnen können. Ein anderer zentraler Grundsatz heißt: "Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die andere hin." Man liest dieses Gebot heute als Appell gegen die Rechthaberei. Die Seligpreisung der Verfolgten wiederum enthält die Aufforderung, sich um diese Menschen zu kümmern. Das biblische Zinsverbot schließlich setzt einen Akzent gegen rücksichtsloses Gewinnstreben.

Das Evangelium ist allerdings kein politisches Programm. Wer Politik mit der Bibel machen will, muss sie mit Verstand und im historischen Zusammenhang lesen. Und selbst wenn die Forderungen nach Gewaltverzicht, Feindesliebe oder persönlicher Armut in vielen Fällen als unerfüllbar erscheinen, haben sie doch ihre Bedeutung: Sie sind ein Gegenprogramm zu Egoismus und Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht und Gewalt in der Gesellschaft. Neue Gesetze, schon gar eine erschöpfende ethische Lehre auszuarbeiten – das war nicht die Absicht des Mannes aus Nazareth. Es wundert deshalb nicht, dass in den achtziger Jahren sowohl Anhänger der Friedensbewegung als auch Militärs auf Bibelzitate zurückgriffen: die einen, um die Rüstungsspirale zu durchbrechen, die anderen, um ihre Pflicht zum Schutz von Leben und Freiheit zu unterstreichen.

Wer mit der Bibel Politik macht, sollte beachten: Die Verhaltensempfehlungen stehen in einem religiösen Zusammenhang. Die Bergpredigt ist eine Verheißung, keine Verordnung. Sie stellt eine neue Welt in Aussicht, aus der Ungerechtigkeit, Gewalt und Zerstörung gebannt sind. Nicht die Menschen schaffen diese neue Welt, sondern Gott. Weil die Menschen von seiner Gnade berührt sind, setzen sie sich für Veränderungen ein. Ob die Ziele der Menschen und die Gottes im Einklang sind, die Frage bleibt letztlich offen.

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