Marco Wagner
Daheim im Sozialismus?
Der evangelische Bischof Albrecht Schönherr half den Protestanten in der DDR dabei, ihr Land nicht nur als Gefängnis zu sehen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
24.05.2013

„Dies ist mein Staat, hier lebe ich“ – bei diesen Worten wäre mancher evange-lische Christ in der DDR vor Scham oder Wut am liebsten im Boden versunken. Wie konnte ein so erfahrener Kirchenmann auf diesen Unrechtsstaat so offen und kooperativ zugehen? Es war auf einer Synode der DDR-Kirchen 1971, als Albrecht Schönherr die historischen Worte sprach: „Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, ­sondern im Sozialismus sein.“ Seit 1969 war Schönherr oberster Repräsentant der evangelischen Kirchen in der DDR, des „Kirchenbundes“.

Eine bahnbrechende Erklärung – für manche ein erlösendes Wort, für andere ein glatter Verrat an der Kirche. Viele evangelische DDR-Bürger (und ­nahezu alle katholischen) hatten seit den kirchenfeindlichen Parteikonferenzen der SED in den fünfziger Jahren auf das Prinzip „Überwintern“ gesetzt: Irgendwann wird dieses Unrechtssystem zusammenbrechen. Und dann das. War Schönherr blind gegenüber den zahllosen Rechtsbrüchen im SED-Staat? Beschönigte er die Menschenrechtsverletzungen: das Eingesperrt­sein im eigenen Land, die Blockade der Pressefreiheit, die Verweigerung von höherer Schulbildung und Studium für Christen, die Ablehnung der Militärseelsorge, wie sie im Westen entstand?

Schönherr erfand die Formel "Kirche im Sozialismus"

Albrecht Schönherr stand als Kirchenmann an der vordersten Konfliktlinie mit dem Staat. Die vom SED-Staat seit 1969 erzwungene Abspaltung der ostdeutschen von der westdeutschen evangelischen Kirche spiegelt sich eins zu eins in seiner Biografie. Schönherr war es, der 1972 die Leitung des Ostteils der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche übernehmen musste, weil die SED dem eigentlichen Amtsinhaber, Bischof Kurt Scharf, die Einreise in die DDR verweigerte.

Schönherrs Gedanken kreisten um die ­Fragen: Wie können evangelische Chris­tinnen und Christen in der DDR über­leben? Wie mit ihren Benachteiligungen beim Studium, den systematischen Übergriffen ins Privatleben umgehen? Wie mit dem ideologischen Anpassungdruck? Erst als Walter Ulbricht, unbeirrbarer Sozialist alter Prägung und Verantwortlicher für den Bau der Mauer, als SED-Chef 1971 abtrat, standen die Zeichen günstiger für eine Entspannung zwischen Kirche und Staat.

"Wir sind keine Partisanen des Westens"

Schönherr war nicht der Mann, der sich mit großen Worten ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängte. Er sprach und handelte eher vorsichtig, oft skrupulös. Deshalb fanden seine programmatischen Äußerungen umso mehr Gewicht. Er selbst folgte schon immer konsequent ­seinen Prinzipien. Er war Mitglied der NS-kritischen Bekennenden ­Kirche und als junger Pfarrer Schüler Dietrich Bonhoeffers gewesen. Er hatte gelernt, sich politisch einzumischen. Schon in den fünfziger Jahren hatte er einem Vertreter der DDR-Regierung  gesagt: „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir keine Partisanen des Westens sind. Wir stehen mit beiden Beinen hier in der DDR. Aber wir wollen Christen in der DDR sein. Das möchten wir respektiert sehen.“ Auf einer Ostberliner Synode sagte er 1971: „Christen müssen die Chance haben, gemäß ­ihren Fähigkeiten und Leistungen ausgebildet und eingesetzt zu werden.“

Schönherr war ein tief frommer Mann, der SED-Kadern auch gern erklärte: „Wir sind Christi Jünger, und das heißt nicht, dass wir einem Gespenst folgen.“ Aber er war zugleich ein kluger Diplomat. Ihm ging es darum, dass Christen ihrem Glauben treu bleiben und zugleich ihren sozialen Zielen folgen können.

So blieb der kirchliche Freiheitswillen über die Jahre erhalten

Dass der SED-Staat die Kirchen nachhaltig beschädigt hat, ist offensichtlich. Es lässt sich schon daran erkennen, dass nur noch 25 Prozent der Bevölkerung als Mitglied einer Kirche registriert sind. Doch bis ins Mark konnte auch die schärfste SED-Ideologie die Kirchen nicht treffen. Vor allem in der evangelischen Kirche wuchs der Widerstand der kirchlichen Friedensbewegung heran, die über die Friedensgebete und Montagsdemonstrationen zum Mauerfall 1989 beitrug.

Albrecht Schönherrs „Kirche im Sozialismus“ hat viel dazu beigetragen, dass der kirchliche Freiheitswillen nicht bereits in den Siebzigern mit Gewalt erstickt wurde, sondern im Innern der Menschen lebendig blieb.

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Statt Aufarbeitung, Aufklärung und Scham wird hier verharmlost und versucht, noch das letzte Krümel "Gutes" zu finden und stolz zu präsentieren. Überleben durch Anbiederung war schon immer die schäbigste Variante von Kirchen-Politik. Oder ist vergessen, dass evangelische Pfarrer auf FDGB-Plätzen in den Urlaub fuhren und das für normal hielten? Manfred Stolpe bekam die DDR- Verdienstmedaille - heimlich. Evangelische Theologische Fakultät an der sozialistischen, marxistisch-leninistischen Humboldt-Universität in "Berlin - Hauptstadt der DDR" - aber hallo ----- Hier zeigt sich politische Grundkrankheit der evangelischen Kirche von Anfang an: immer, ununterbrochen in Staatsnähe. Zum Luther-Beginn, durch den Schutz einiger mächtiger Fürsten gegründet und seit dem den jeweiligen Mächten gehorsam zugetan: Unter dem Kaiser die Staatskirche, unter Hitler staatstreu, unter Ulbricht/Honecker Kollaboration. Die wirklichen Verdienste für die Revolution 1989 sind einzelnen mutigen Geistlichen zu danken - NICHT DER evangelischen KIRCHE. ----- Auch so ein "geschickter" evangelischer Bischof: Ingo Braecklein http://de.wikipedia.org/wiki/Ingo_Braecklein

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Hikaru Sulu schrieb am 2. Juni 2013 um 11:56: "Oder ist vergessen, dass evangelische Pfarrer auf FDGB-Plätzen in den Urlaub fuhren und das für normal hielten?" O je, o je! Plaste-Urlaub auf unterstem Niveau! Da kann der Marx nur lachen. Ich meine natürlich seine Eminenz, den hochwürdigen Herrn Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising. Da ist es keineswegs vergessen, sondern alle guten Bürger halten es für völlig normal, dass er vom freiheitlichen Freistaat Bayern ein monatliches Salär gemäß Besoldungsstufe B11 erhält, also einen derzeitigen Grundgehaltssatz von elftausendachthundertdreiundsechzig Euro und 66 Eurocents. _______________________________ Zitat: "Hier zeigt sich politische Grundkrankheit der evangelischen Kirche von Anfang an: immer, ununterbrochen in Staatsnähe." Der protestantische Gläubige bittet, wie es sich gehört, seinen Gott um gutes Regiment. Da lässt sich der himmlische Vater nicht lange bitten und schickt ein erstes bis Drittes Reich, eine erste und eine zweite Republik und als Vorgriff auf himmlische Freuden ein Arbeiter- und Bauernparadies. Letzteres war freilich eindeutig als Strafe Gottes gemeint, da sind sich die Demokraten einig. Das Dritte Reich war auch nicht ganz koscher, allerdings muss man dort bereits differenzieren. Erstes und zweites Reich und erste Republik waren gewöhnliche Geschenke Gottes. Bei der derzeitigen Republik ist Gott hingegen zu hoher Form aufgelaufen und hat alles prächtig eingerichtet. Eine lebendige Demokratie und eine blühende Marktwirtschaft, die alle anderen in den Boden konkurriert! Da ist nur noch Dankbarkeit gegenüber dem göttlichen Herrn angebracht. Deswegen hat die evangelische Christenheit einen berufsmäßigen Künder der ankommenden Gottesherrschaft bereitgestellt, der die aktuelle, ans Paradies erinnernde irdische Herrschaft, als Bundespräsident perfekt repräsentiert. _________________________________ Wenn zwei sich so nahe sind wie der Staat und Gott, dann gibt es dafür auf beiden Seiten Gründe. Interessant beim verflossenen roten Paradies war folgendes: Die Staatsgewaltigen hatten zur öffentlichen Verehrung die Heiligen Marx, Engels und Lenin freigegeben. In deren Schriften finden sich gelegentlich Argumente gegen den Gottesglauben. In der Staatspraxis kamen die allerdings nicht vor. Ein Gläubiger, der tatsächlich oder vermeintlich gegen die sozialistische Ordnung verstieß, wurde mit Staatsmitteln drangsaliert und kujoniert. Dafür gibt es den Staat. Einem Gläubigen, der sich wiederum tatsächlich oder vermeintlich in die sozialistische Ordnung einfügen wollte, wurde auf die Schulter geklopft und der "konstruktive Dialog von Marxisten und Christen" angeboten. Kritik geht anders. Die verzichtet sowohl auf staatlichen Zwang wie auch auf anbiedernde Schulterklopferei.

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"Albrecht Schönherr ... erfand die Formel 'Kirche im Sozialismus'"

Soviel ich weiß, stammt diese Formel von dem damaligen Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser.
Sie ist dann auch von Schönherr und anderen aufgenommen worden - und er hat sie in seinem Sinne interpretiert.
Ja, er hat vielen von uns in der DDR geholfen, unser Land nicht nur als Gefängnis zu sehen! (Andere haben es anders gesehen.)