Krieg ist ein Geschäft. Andrew Feinstein, unerschütterlicher Enthüller in Sachen Waffenhandel und Korruption, sagt es gerade heraus: „Wer Waffen herstellt, hat Interesse an militärischen Konflikten.“ Vor Tausenden gebannt lauschender Zuhörerinnen und Zuhörer blättert der Südafrikaner und frühere Abgeordnete des ANC die vielen Schattenseiten des internationalen Waffenhandels auf. Feinstein ist so etwas wie der Schrecken der Waffenlobbyisten in aller Welt. Und zumindest einem von ihnen, Georg Adamowitsch, Chef des Bundesverbandes der deutschen Verteidigungsindustrie, wird er auf dem Kirchentag ein paar unangenehme Wahrheiten um die Ohren schlagen.
250 Dollar pro Erdenbürger im Jahr für Waffenkäufe
Der Kirchentag hat am Freitag sein großes Thema gefunden. Es ist beruhigend, dass sich das Protestantentreffen, das sich schon bei der Nato-Nachrüstungsdebatte in den Achtziger oder im Kosovokrieg in den Neunzigern so entschieden für gewaltfreie Konfliktlösungen stark gemacht haben, ihrem Friedensthema treu geblieben sind. „Rüstung tötet auch ohne Krieg“ hieß einmal eine Parole - sie tötet, indem sie Menschen indirekt die Geldmittel für Nahrung, Bildung, Wohlfahrt schuldig bleibt. Das ist heute kein bisschen anders. Doch um welche Größenordnungen geht es? Andrew Feinstein geht davon aus, das auf jeden der rund sieben Milliarden Erdenbürger jährlich 250 Dollar für Waffenkäufe entfallen. Erhebliche Teile davon sollen auf Korruptionszahlungen entfallen.
Und die Ausgaben steigen dramatisch. Der beim Kirchentag anwesende Rüstungslobbyist Adamowitsch, angetan mit legerer Freizeitkleidung, in der Sache aber knallhart, erklärt knapp: „Alle genannten Zahlen sind falsch“, macht sich aber nicht die Mühe, sie zu korrigieren.
Evangelisches Kernthema Gewaltverzicht
Der finanzielle Umfang der Waffengeschäfte ist ein großes Ärgernis, nicht weniger als die destruktiven Folgen für die Wirtschaft und die Gesellschaft beider Länder, also zugleich auf der Verkäufer- und der Käuferseite: Waffenhandel schafft kriegerische Konflikte. Er schädigt durch die Diskursverweigerung die demokratische Kultur und durch die gigantischen Kosten die Volkswirtschaften. Wo demokratische Entscheidungsprozesse notwendig wären, halten sich Diktaturen mit Gewalt an der Macht. In Syrien beliefern Waffenhändler mit großem Erfolg parallel gleich beide Seiten, kaufmännisch, aber auch nur so, ein perfides Erfolgsrezept.
Tötungsverbot und Gewaltverzicht gehören zu den Kernthemen christlicher Ethik und der Kirchentage. Deshalb können sich evangelische Christen nicht abfinden mit dem Ausmaß des Waffenexports noch der undemokratischen Weise, wie diese Exporte genehmigt werden, nämlich in der Hinterkammer des Bundessicherheitsrates. Faktisch sind die Genehmigungsverfahren für den Waffenexport den allermeisten Mitgliedern des Bundestages tabu. Kein politischer Bereich wird so systematisch der parlamentarischen Kontrolle und der Wahrnehmung der Medien verborgen wie der Waffenhandel. „Eine Kontrolle ist de facto kaum möglich“, bestätigt auch der Bonner Konversionsfachmann Jan Grebe. „Es gibt keine Transparenz. Wir kennen die Abwägungen im Bundessicherheitsrat nicht.“ Waffen für Saudi-Arabien, für Bahrein? Wenn Menschenrechte in Gefahr sind, muss der ganze Bundestag bei diesem Thema mitreden und der Verkaufslust der deutschen Rüstungsindustrie eionen Riegel vorschieben.
Evangelisches Ja zur Waffenproduktion. Grundsätzlich.
Viele frühere evangelische Kirchentage wurden innerlich geradezu zerrissen vom Konflikt zwischen radikalen Pazifisten und Anhängern des militärischen Sicherheitsdenkens. Das ist weitgehend Geschichte. Nikolaus Schneider, der heutige EKD-Ratsversitzende, musste fast schon zum Widerspruch zu seiner pragmatischen Friedensethik einladen. „Das wird manchen von Ihnen nicht gefallen“, begann er sein Plädoyer für einen vernünftigen Umgang mit militärischer Gewalt. Und er schilderte, dass die evangelische Kirche grundsätzlich Ja zum Militär sagte und folglich auch grundsätzlich Ja zur Waffenproduktion.
Es ist einer der Höhepunkte evangelischen Diskurses, wie sich der Kirchentag dieser schwierigen Frage annahm. Eine politische Agenda, wie sich der Waffenexport demokratisch kontrollieren lässt, präsentiert der EKD-Ratsvorsitzende. Knapp zusammengefasst fordert er eine schrittweise Ablösung der Exporterlaubnisse des Bundessicherheitsrates durch solche des ganzen Parlaments. Und das heißt zugleich auch eine öffentliche Debatte über die geplanten Waffengeschäfte. Transparenz ist das alles entscheidende Kriterium. Denn „wer Waffen exportiert, exportiert nicht Frieden, sondern Friedensgefährdung“, wie Nikolaus Schneider formulierte.
Hamburg hatte sein Thema gefunden: Es wäre nicht der Evangelische Kirchentag, wenn er nicht die Ideale einer gewaltfreien Welt im Auge behielte. Ob die ruhige Art, in der die Debatte in Hamburg verlief, die Einflüsse der Rüstungsindustrie und die Geheimniskrämerei des Bundessicherheitsrates auszuhebeln vermag, ist schwer zu sagen. Überfällig ist die politische Debatte über die geheimen Rüstungsgeschäfte allemal.