Es war ein Youtube-Vidoe im Jahr 2012. Innerhalb weniger Wochen hatten es 66.000 Menschen angeklickt: Hundert Jugendliche im bosnischen Badeort Neum. Alle in weißen T-Shirts mit aufgemalten Friedenstauben. Sie laufen im Sonnenuntergang am Meer entlang, singen auf einem Marktplatz und spielen Szenen von Tod und Trauer. Dazu ein Lied, das im ehemaligen Jugoslawien jeder kennt: „Samo da rata ne bude“ (Es darf keinen Krieg mehr geben) von Dorde Balaševic. Damit wurde schon 1987 vor dem drohenden Krieg gewarnt.
Die Szenen in dem Video stammen aus einem Friedenscamp der Initiative „Ferien vom Krieg“ (Odmor od rata). Das Komitee für Grundrechte und Demokratie führt diese Camps seit fast 20 Jahren in Ex-Jugoslawien durch, um gewachsene Feindbilder zu durchbrechen. Jugendliche aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien verbringen zwei Ferienwochen zusammen. Sie nähern sich einander an: schwimmen, tanzen - und thematisieren in Workshops die Wunden, die der Bürgerkrieg geschlagen hat. 21.000 junge Leute waren bislang dabei.
Aus Teilnehmern wurden Betreuer
Chrismon berichtete im Juni 2003 über die Initiative, die auch für Jugendliche aus Israel und Palästina Treffen organisiert. Die Leserinnen und Leser zeigten sich danach sehr interessiert, sagt Brigitte Klass vom Komitee für Grundrechte und Demokratie: Sie riefen an, boten ihre Unterstützung an und spendeten Geld. Und ermöglichten so, zusammen mit anderen Helfern, dass die Versöhnungsarbeit weiter gehen konnte.
„Inzwischen rücken wir unserem Ziel, uns überflüssig zu machen, näher“, so Klass. In fünf Balkan-Städten hätten sich eigenständige Gruppen gegründet, die die Organisation übernehmen und die Teilnehmer auswählen. Viele der ehemaligen Teilnehmer fahren heute als Betreuer mit in die Ferienlager.
Video kommt zur rechten Zeit
Bislang wurde "Ferien vom Krieg" im ehemaligen Jugoslawien öffentlich wenig wahrgenommen. In diesem Sommer aber berichteten über 100 Medien über die Initiative. Den Startschuss gab eine kroatische Tageszeitung, die das Youtube-Video, das einer der Teilnehmer in Neum gedreht hatte, auf die Startseite ihrer Onlineausgabe hob. Mittlerweile verlinken 160 Internetportale zum Film. Und es gibt Hunderte von Kommentaren auf Youtube.
„Dieses riesige Echo hat auch uns erstaunt“, sagt Brigitte Klass. Sie wertet zurzeit die Kommentare aus. „Der Großteil besteht aus Zuspruch und Unterstützung. Daneben gibt es einige nationalistische Hetzkommentare, aber auch eine Reihe resignierter Zuschriften. Leute, die es zwar gut finden, was die Jugendlichen machen, aber nicht glauben, dass es hilft, weil die Politik sowieso nicht auf die Menschen hört.“
Klass meint, dass das Video einen Nerv getroffen haben könnte: Seit Tomislav Nikolic im Mai serbischer Präsident wurde und Träume von Großserbien wieder erwecke, habe sich das Klima verändert. Das spüre man bis ins Camp. „Die Gruppe aus Serbien bestand in diesem Jahr aus nur 6 Jungen, bei 23 Mädchen. Die Begleiter meinten: Mehr Jungs wollten nicht mit. Es gelte wohl gerade als weibisch, etwas für die Frieden zu tun." Bislang nur in Serbien. „Aber Kroaten und Bosnier haben Angst, dass auch die eigenen Machthaber bald autoritärer auftreten, als Antwort auf Nikolics Machtgebärden“.
Immer noch tiefe Gräben
Wie tief die Gräben noch sind, merkt Brigitte Klass immer wieder: "Viele Regionen in Ex-Jugoslawien seien nach dem Krieg wirklich „ethnisch gesäubert“, wie es so furchtbar heißt. Einige Jugendliche lernen im Camp das erste Mal jemand kennen, der zu „den Anderen“ gehört. Man freundet sich an, einige verlieben sich, aber nicht alle Eltern helfen nach der Rückkehr dabei, diese neuen Beziehungen zu pflegen. Manche Väter und Mütter schicken ihre Kinder nur in die Sommercamps, weil sie kein Geld für einen Familienurlaub haben. So kommt es vor, dass jemand seinen Sohn mit dem Gruß verabschiedet: Viel Spaß, und: halt dich fern von der anderen Gruppe! Dann ist es ein Schock, wenn der Junge dann frisch verliebt nach Serbien zurückkommt und seine neue kroatische Freundin einladen will."
Im nächsten Jahr finden die „Ferien vom Krieg“ im ehemaligen Jugoslawien zum 20. Male statt. Dazu ist im bosnischen Tuzla ein großes Fest geplant. Der Sänger Đorđe Balašević ist eingeladen. Ob er kommt, oder nicht: Eines seiner Lieder wird sicher gesungen werden: "Samo da rata ne bude": Es darf keinen Krieg mehr geben.