"Solidarität alleine reicht nicht"
Rafael Matesanz leitet seit 1989 die spanische Transplantationsgesellschaft ONT (Organización Nacional de Transplante), die dem spanischen Gesundheitsministerium untersteht. In dieser Zeit hat der Madrider Arzt in Spanien ein System etabliert, das weltweit führend ist
Foto: Privat
15.02.2011

Spanien hat seit 1992 weltweit die meisten Organspender. Wie hat die ONT das geschafft?

Wir nutzen die Spendenbereitschaft optimal. Kein Organ darf verloren gehen. Dazu schulen wir vor allem Ärzte, die im Krankenhaus jeden Schritt unter Kontrolle haben. Organspende ist ein komplexer Prozess, nichts darf dem Zufall überlassen werden. In den Krankenhäusern muss das nötige Bewusstsein vorhanden sein. Eine effiziente Organisation ist entscheidend, Hinzu kommen Medienkampagnen und Aufklärung der Bevölkerung. All diese Faktoren ermöglichen es, in Spanien jährlich 4000 Menschenleben zu retten.

In Deutschland gilt die Zustimmungsregelung, Transplantationen erfolgen nur mit dem Einverständnis der Hinterbliebenen. In Spanien gilt die Widerspruchsregelung: Jeder Verstorbene kommt als Spender in Frage – außer, er lehnt das zu Lebzeiten ab. Ein Grund für die vielen Spenden in Spanien?

Glaube ich nicht. Auch wir entnehmen Organe nur im Einvernehmen mit den Hinterbliebenen. Wenn in anderen Ländern weniger gespendet wird als bei uns, liegt eher an der unterschiedlichen Gesetzgebung, an mangelnden Bewusstsein und an der unkoordinierten Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern.

Das könnte sich bald ändern. Bis 2015 soll das spanische Modell in der gesamten Europäischen Union (EU) umgesetzt werden. Ist das realistisch?

Staaten wie Kroatien, Großbritannien oder die skandinavischen Länder haben unser Modell bereits übernommen. Als Spanien den EU-Ratsvorsitz inne hatte (1. Halbjahr 2010, Anm. d. Red.), beschloss das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Richtlinie für ein einheitliches System für Transplantationen. Vorbild ist das spanische Modell. Europa könnte so pro Jahr 20 000 Menschenleben retten.

Wie können bei EU-weiten Spenden die Herkunft und Qualität der Organe sichergestellt werden?

Ein wichtiger Punkt ist ein einheitliches System, bei dem man stets die Herkunft eines Organs nachvollziehen kann, ohne die Identität des Spenders preisgeben zu müssen. Gelingt das, wäre die EU gegen Organhandel immunisiert. Denn niemand darf für ein gespendetes Organ Geld beziehen. Auch nicht im Falle einer Lebendspende – Aufwandsentschädigung ja, Bezahlung nein.

Erfordert das dann aber auch ein stärkeres Solidaritätsgefühl unter den EU-Bürgern?

Das Problem ist nicht so sehr, dass die Menschen kein Organ spenden würden. Bei Umfragen zur Spendenbereitschaft stehen die Spanier europaweit auf Rang 14. Trotzdem werden bei uns mehr Organe gespendet als anderswo. Meist stimmt die Koordination nicht. Man schätzt, dass derzeit in Europa täglich 15 Menschen sterben, während sie auf ein Spenderorgan warten. Viele Organe werden nicht genutzt, weil auf Intensivstationen die Zuständigen fehlen: Nach dem Tod sind Gespräche mit Angehörigen und eben die Koordination der Organspende entscheidend.