„Die Frauen müssen es machen! Wenn es die deutschen Frauen nicht machen, sehe ich keine Chance für Deutschland.“ In der ersten Broschüre, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedruckt wurde, stehen diese Sätze. Sie handelt vom politischen und sozialen Neuanfang. Geschrieben hat diese Broschüre Anna Haag, Schriftstellerin, engagierter Kopf der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Gelegenheitsjournalistin, Lehrersgattin. Sie zitiert hier die Äußerung eines amerikanischen Besatzungsoffiziers, um sie zum Motto ihrer Streitschrift zu machen.
In der zwölfseitigen programmatischen Schrift mit dem Titel „...und wir Frauen?“ findet sich eine Art Selbstverpflichtung der Autorin: „‚Nie wieder Krieg!‘ Wir werden die äußerste Sorgfalt anwenden, um unsere Kinder in diesem Sinn zu erziehen!“ Wachsamkeit ist für sie die herausragende politische Tugend. Selbstkritisch reflektiert sie die Ursachen, warum die Frauen ihren „Urinstinkt“ verloren hätten, dem Tod zu entrinnen: Nazipropaganda, die Todesangst im Krieg und die Angst vor der Gestapo.
Sie schrieb sich in die Verfassungsgeschichte Deutschlands ein
Wer war diese Frau, die zwar nie redegewandt, aber ihrer moralischen Ziele sicher, sehr entscheidungsfreudig und geistig unabhängig war? Als Lehrerstochter in der Nähe von Backnang geboren, als Jugendliche in Dettingen an der Erms zu Hause, wurde sie weitgehend von ihrem Vater unterrichtet, erhielt keine höhere Schulbildung. So verlegte sie sich aufs Schreiben, heiratete einen Lehrer, lebte mit ihm in Bukarest und in Nürtingen, seit 1927 in Stuttgart. Der SPD war sie bereits kurz nach 1919 beigetreten.
Obwohl sie in ihrer eigenen Partei als ausgemachte Individualistin galt, wurde sie 1946, vor der Konstituierung der Verfassungsgebenden Landesversammlung in Stuttgart gefragt, ob sie dort für die Sozialdemokraten Sitz und Stimme wahrnehmen wolle. Sie zog in die Landesversammlung ein, später in den Landtag, ergriff dort aber selten das Wort. Und wenn, dann eilte sie meist empört nach vorn, und schon allein dies brachte das Bärtchen des Parlamentspräsidenten zum Zittern. Das ist kein Wunder. In die Geschichte des deutschen Verfassungsrechts schrieb sich die Schwäbin im Februar 1948 dadurch ein, dass sie als Erste das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in die parlamentarischen Beratungen einbrachte: in die Verfassung des Landes Württemberg-Baden. Von dort aus fand es ein Jahr später leicht modifiziert Eingang in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Als sie den Gesetzentwurf in Stuttgart einbrachte – für sie eine völlig naheliegende Rechtsnorm –, erntete sie prompt mitleidiges Lächeln und Reaktionen, die alle auf den einen Punkt hinausliefen: Das ist unvernünftig.
"Was ist aus mir geworden? Ich bin verschlossen, misstrauisch, verlogen geworden"
Was Vernunft, was Unvernunft ist, darüber hatte sich Anna Haag während des Krieges genug Gedanken gemacht. Ihre intimsten Gedanken vertraute sie einem Kriegstagebuch an, das sie im Kohlenkeller ihres Hauses versteckt hielt. Sie diagnostiziert nicht nur einen „Massenwahnsinn des deutschen Volkes“ (24. Januar 41), sondern beobachtet auch sich selbst äußert kritisch: „Ich war früher ein freundlicher Mensch, hilfsbereit, den Menschen zugetan, heiter, offen. Was ist aus mir geworden? Verschlossen, misstrauisch, verlogen, hasserfüllt, eigennützig... Um mein Leben vollends durch die ‚große‘ Zeit hindurch zu retten, muss ich noch verschlossener, noch misstrauischer, noch verlogener, soch selbstsüchtiger werden“ (19. Juni 1943). In ihrem Haus in Feuerbach hatte sie Jahre zuvor auf dem Dachboden „Massen von Flugblättern der Frauenliga“ liegen, nach dem Ermächtigungsgesetz 1933 verbrannte die Familie „ganze Stapel davon mit dem Aufdruck ‚Nie wieder Krieg‘... an einem einsamen Hang“ in der Nähe.
Ob die Frauen entschlossener als die Männer der Naziideologie widerstanden haben, daran zweifelte Anna Haag. Nach dem Krieg schrieb die Feministin an Amerikas First Lady Eleanor Roosevelt mit der Bitte, sich für die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen einzusetzen, soweit sie nicht Nazis gewesen waren. Die antwortete ihr nicht, bezichtigte sie aber öffentlich der Naivität. Ein Vorwurf, der Anna Haag nur zu vertraut war.
Vorbilder - Anna Haag
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Gewissenspflege und Kriegsbereitschaft
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