Sprache muss sich entfalten können. Aber bitte nicht zu sehr
Tim Wegner
13.12.2010

chrismon: Wie heißt es denn nun richtig: Das Ende „diesen“ Jahres oder das Ende „dieses“ Jahres?

Wolfgang Krischke: Das Ende dieses Jahres. Man sagt ja auch nicht: das Dach diesen Hauses.

Aber der Duden erlaubt beide Möglichkeiten.

Der Duden drückt sich vor einer Entscheidung, dort heißt es, nur „konservative Sprachpfleger“ würden „dieses“ bevorzugen. Die Menschen suchen aber eine feste Orientierung. Sie ahnen, dass eine funktionierende Hochsprache anders als die Umgangssprache bestimmte Regeln benötigt. Unser heutiges Hochdeutsch hat sich mühsam aus den Dialekten heraus entwickelt und brauchte lange, bis es mit Latein und Französisch konkurrieren konnte. Die erreichten Standards sollten wir nicht aufs Spiel setzen.

Ist unsere Sprache etwa in Gefahr?

Eine Sprache stirbt erst dann aus, wenn die letzten Menschen sterben, die diese Sprache sprechen. Davon ist Deutsch als zehntgrößte Sprache der Welt mit rund 100 Millionen Sprechern weit entfernt. Aber es gibt die Tendenz zur Vereinfachung der grammatischen Endungen. Schon Arthur Schopenhauer hat über die „Verhunzung der Grammatik und des Geistes“ gewettert – da gab es weder Fernsehen noch Internet. Ich dagegen glaube an die Geschmeidigkeit und die Entfaltungsmöglichkeiten von Sprache.

Haben wir zu viele oder zu wenig Regeln?

Man kann Sprache nicht zementieren. Aber es gibt sinnvolle Regeln und sinnvolle Unterscheidungen, etwa die zwischen „scheinbar“ (etwas ist nicht wirklich so) und „anscheinend“ (etwas scheint zu stimmen). Viele Sprachwissenschaftler scheuen vor Urteilen wie „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „schlecht“ zurück. Wer sie abgibt, ist in ihren Augen ein verspannter Schulmeister.

Und der Trend zum Denglisch – finden Sie den dramatisch?

Sprachhistorische Untersuchungen zeigen, dass Wörter aus anderen Sprachen sich immer nach dem gleichen statistischen ¬Muster im Deutschen ausgebreitet haben. Irgendwann ist ein Sättigungsgrad erreicht. Wenn sich auch das Englische daran hält, dann ist der Gipfelpunkt der Anglisierungswelle schon erreicht. Das gilt aber nur für die Alltagssprache. In der Wissenschaft und Technik dagegen steuern wir auf eine Situation zu, wie sie bis ins 18. Jahrhundert hinein geherrscht hat: Damals waren Latein und Französisch die Bildungssprachen, heute ist es Englisch.

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