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Die Revolution der Jugendlichen im arabischen Frühling vom vergangenen Jahr zeigt eindrucksvoll, dass sich eine Gesellschaft auf Dauer nicht knebeln lässt. Werden die Wünsche der Menschen nach Teilhabe, Würde, Respekt und Selbstbestimmung mit Füßen getreten, bedarf es nur eines Anstoßes, des berühmten Tropfens, der das Fass zum überlaufen bringt, damit die Menschen Straßen und Plätze der Metropolen besetzen, sich erheben und ihre Tyrannen stürzen. Gleich drei Potentaten, Ben Ali, Mubarak und Gaddafi, hat es 2011 getroffen, andere wurden in arge Bedrängnis gebracht.
Die Ereignisse des arabischen Frühlings, von dem Medien, Politik und Geheimdienste überrascht wurden, lässt der Kairoer ARD-Korrespondent Jörg Armbruster in einem packenden Buch Revue passieren. Nüchtern berichtet er vom Tod der beiden jungen Männer Khaled Said und Mohammed Bouazizi in Ägypten beziehungsweise Tunesien, die zu Märtyrern der Revolution wurden. Khaled, der regimekritische Blogger, wurde am 7. Juni 2010 von Schergen Mubaraks aus einem Internet-Café entführt und totgeschlagen. Der Gemüsehändler Mohammed übergoss sich am 17. Dezember 2010, gedemütigt, recht- und chancenlos, aus Verzweiflung mit Benzin und zündete sich selbst an.
Parallelen zwischen Tunesien und Ägypten
Khaled wird zum stummen Protagonisten bei den ersten Massenkundgebungen in Kairo am 25. Januar 2011, die in nur 18 Tagen zum Rücktritt Mubaraks führen. Mohammeds Verzweiflungstat wird per Facebook, Twitter und Al-Jazeera in aller Welt bekannt gemacht, sein Tod am 4. Januar ist der Startschuss für den tunesischen Aufstand, der in 10 Tagen Ben Ali und seinen Clans zur Flucht nach Saudi-Arabien zwang. Khaled und Mohammed wollten Arbeit, Respekt, eine bessere Zukunft. Doch die korrupte, raffgierige Machtelite in Tunesien und Ägypten hatte die Volkswirtschaft an sich gerissen, interessierte sich nur für den eigenen Wohlstand, kümmerte sich nicht um die Probleme des Landes und ließ die Infrastruktur verkommen.
Auch andere Parallelen zwischen Tunesien und Ägypten zeigt Armbruster auf. In beiden Ländern sagte sich die Armee bald vom Regime los. Ben Ali und Mubarak hatten sich lieber auf Geheimdienste und Polizeikräfte gestützt. Auf sich allein gestellt hätten die jugendlichen Demonstranten, eine gut ausgebildete und hoch motivierte „Generation Facebook“ ohne Zukunftsaussichten, die Despoten nicht stürzen können, zumal Mubarak und Ben Ali schnell reagierten.
Demokratie in der arabischen Welt?
Sie starteten eine Konterrevolution, setzten Schlägerbanden und Heckenschützen ein, ließen Verbrecher aus den Gefängnissen und hetzten sie auf die Demonstranten. Auch die libysche Armee war schlecht ausgebildet und unterfinanziert, in Scharen liefen die Soldaten zum Gegner über. Gaddafi stütze sich auf Spezialtruppen, die einen Bürgerkrieg vom Zaun brachen und ihr Land lieber zerstört als vom Gegner beherrscht sehen wollten.
Armbruster fragt nach den Perspektiven für die Demokratie in der Region. Es gelte zu unterscheiden zwischen Saudi-Arabien oder den Autokratien am Golf, wo es keinerlei Anzeichen für mehr Pluralismus gebe, und moderaten islamischen Gesellschaften wie Marokko, Tunesien oder Ägypten. Die große Mehrheit sei für Wandel und mehr Mitbestimmung, vor allem aber wolle sie ein sicheres Auskommen. Auch Jobs entscheiden also über Erfolg oder Misserfolg demokratischer Strukturen.
Natürlich spiele die Religion eine Rolle, doch Islam und Demokratie seien vereinbar. Der Weg, so Armbruster, sei allerdings weit und steinig, es werde „noch lange eine Demokratie mit eingebautem Koran sein.“ Der Westen, so Armbrusters Fazit, sollte die Entwicklung im eigenen Interesse auf gleicher Augenhöhe und ohne Bevormundung positiv begleiten und unterstützen. Die Ergebnisse der Wahlen in Ägypten, die der Muslim-Bruderschaft und den erzkonservativen Salafisten eine Mehrheit bescherten, geben allerdings zu einer skeptischeren Einschätzung Anlass.
Jörg Armbruster: Der arabische Frühling. Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern, Westend Verlag Frankfurt 2011, 238 Seiten, 16,99 Euro.