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Gibt es für uns Protestanten eigentlich ein elftes Gebot, das lautet: „Du sollst nicht Karneval feiern!“?
Protestanten und Karneval – das ist eine schwierige Geschichte. Die Kirche im Mittelalter erlaubte in den Wochen vor Aschermittwoch eine begrenzte Zeit der Ausschweifung, damit die Menschen anschließend umso bereitwilliger ein „heiliges Fasten“ auf sich nahmen.
Der „Zeit des Geistes“, also der Passionszeit, wurde eine „Zeit des Fleisches“, also die Karnevalszeit, vorangestellt. Sündiges Treiben wurde so kirchlich eingehegt und als eine Art Spiel gedeutet, das letztlich der Abschreckung diente. Der Sinn dieses Spiels erschloss sich von der vorösterlichen Fastenzeit her: Ausgelassen Karneval feiern durfte nur der, der sich anschließend durch Beichten, Fasten und Enthaltsamkeit auf das Osterfest vorbereitete.
Martin Luther protestierte gegen diese Karnevalstradition seiner Kirche. Er bezweifelte, dass man Zügellosigkeit nur vorübergehend zulassen könne, ohne dass die Menschen ihr auf Dauer verfallen würden. Vor allem aber hatte er theologische Vorbehalte gegenüber kirchlich verordneten Fastenpflichten. Er sah darin einen vergeblichen Versuch von Menschen, sich aus eigener Kraft vor Gott zu rechtfertigen.
Christen sind eben keine Zierfische
Mit dieser grundsätzlichen Kritik Luthers wurde der Karneval bis heute zu einem Streitthema für Protestanten, auch um sich von Katholiken abzugrenzen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussionen in unserer Evangelischen Kirche im Rheinland, als der Kirchentag in Köln 2007 eingeladen wurde, einen Karnevalswagen für den Rosenmontagszug zu gestalten. Dieser Wagen wurde tatsächlich gebaut. Darauf zu sehen: ein Hai (entlehnt aus dem Logo des Kölner Kirchentags) mit Narrenkappe und Pappnase, darauf rittlings eine Pfarrerin und ein Pfarrer bei der Attacke auf die säkulare Gesellschaft. Dieser Wagen lud zur Teilnahme am Kirchentag ein und fand viel Beachtung. Christen sind eben keine Zierfische, ihr beherztes Engagement ist gefragt.
Auch wenn ich persönlich zu vielen Erscheinungsformen des karnevalistischen Treibens eine innere Distanz verspüre, meine ich: Mit einer strengen theologischen Unterscheidung zwischen „sündigem Fleisch“ und „gottwohlgefälligem Geist“ den Menschen das Feiern und Genießen zu vermiesen, das entspricht nicht der frohen Botschaft der Bibel. Jesus selbst hat – so erzählt es uns das Johannesevangelium – mit seinem ersten Wunder das Feiern und Genießen gefördert. Er hat den Wunsch einer Hochzeitsgesellschaft nach mehr Wein erfüllt. Guter Wein in Fülle, das ist in dieser Geschichte ein Zeichen für das mit Jesus angebrochene Gottesreich – nicht die Forderung nach nüchterner Enthaltsamkeit!
Die berechtigte Kritik Luthers am Karneval und der Bußtheologie der Kirche seiner Zeit zieht also nicht die Verwerfung aller Karnevalstraditionen nach sich. Denn Karneval kann ganz anders verstanden werden: als Zeit, um dem Alltag den Spiegel vorzuhalten, Gewohntes zu hinterfragen und die große Politik kritisch zu begleiten. Oder einfach: um Spaß an der Freude zu haben.
Deshalb gibt es auch kein zusätzliches Gebot, das von uns fordert: Immer wenn dir etwas Spaß macht, musst du diesen Spaß theologisch rechtfertigen!
Um Gottes und um unserer Seligkeit willen brauchen wir Protestanten dem Karneval nicht zu entsagen. Aber wir haben auch die Freiheit, das Karnevalstreiben einfach nicht zu mögen und es zu meiden – ohne das als ein konfessionelles Bekenntnis herauszustellen.