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Beide erlebten einen steilen Absturz. Mit Stehvermögen und guten Freunden gewinnen sie ihre Balance zurück
Tan Siekmann und Ute Vogt machen weiter...
Hedwig Gafga, Autorin
Tim Wegner
07.10.2010

chrismon: Herr Siekmann, in dem Dokumentarfilm "Der Weltmarktführer" fliegen Sie im Privatflugzeug. Heute sind Sie mit dem Zug gekommen. Empfinden Sie das als Abstieg?

Tan Siekmann: Bei Kurzstrecken bin ich ein Freund des Zuges, da gibt es nicht die Sicherheitskontrollen wie im Flugverkehr.

Wie wichtig sind Ihnen Insignien der Macht wie ein großes Auto oder ein Privatjet?

Siekmann: Ich bin ein begeisterter Privatflieger, weil es ein sehr gutes Verkehrsmittel ist, wenn man sehr viele Termine in sehr kurzer Zeit abhandeln muss. Es bringt Spaß, vom Boden abzuheben und die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Ute Vogt: Ich fahre gern Auto oder Motorrad. Das empfinde ich als Hobby, das ich genieße, wenn ich es mir leisten kann. Aber es ist nichts, wodurch sich in meinen Augen ein Mensch definiert.

Siekmann: Ich bin kein machtbewusster Mensch. Ich bin es nicht gewohnt, mir irgendeinen Platz zu erkämpfen.

Ist Ihnen alles in den Schoß gefallen?

Siekmann: Nein, ich habe um alles gekämpft, was ich erreicht habe. Aber ich bin es nicht gewohnt, um die Führerschaft zu kämpfen. Das hätte ich vielleicht tun sollen. Hinterher, als meine Firma, die Biodata GmbH, zu einer börsennotierten Aktiengesellschaft wurde, war das ein Problem. Ich glaube, dass die Lenker von großen Kapitalgesellschaften 80 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, ihre Position abzusichern, und nur 20 Prozent damit, Produktives zu tun. Ist das in der Politik ähnlich?

Vogt: Der Prozentsatz wäre mir in Bezug auf meine Tätigkeit zu hoch. Ich würde zwischen zehn und 20 Prozent rechnen, die man an Zeit einsetzen muss, damit man die Position hält. Das kann man auf verschiedene Weise tun, zum Beispiel ­ und das ist der Weg, den ich persönlich gegangen bin ­ indem man Netzwerke knüpft. Aber auch in einem Team muss man die Führungsrolle immer wieder unter Beweis stellen.

Vogt, die Politikerin: "Was mich getroffen hat, war die Häme nach dem Verlust"

Sie beide haben Erfolge gefeiert und dann einen Absturz erlebt. Was war für Sie der schlimmste Moment?

Vogt: Die schwierigste Situation war nicht das Wahlergebnis von 25 Prozent bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Für mich kam der schmerzlichste Moment bei den Reaktionen, die ich danach erleben musste. In einer Demokratie kennt man ja die Umfragen. Insofern hat mich das Ergebnis nicht überrascht. Was mich mehr getroffen hat, war die Häme, mit der man nach einem solchen Verlust konfrontiert wird.

Von wem vor allem?

Vogt: Oft von Menschen, von denen man vorher dachte, sie stehen einem nah. Das war das Schwierigste. Wenn man spürt, wer einen vor fünf Jahren hoch gelobt, umarmt, gedrückt hat und auf einmal sagt: Jetzt bist du für uns out. Wenn es schwierig wird, erkennt man seine wahren Freunde.

Siekmann: Bei mir verlief das in Form einer Welle, bei der ich mich anfangs vor Schulterklopfern und Politikern, die sich bei uns in der Firma die Tür in die Hand gaben, kaum retten konnte, bis zu dem Punkt, an dem ich ganz alleine war. Die Erfahrung mit den Freunden habe ich genauso durchgemacht. Hinterher bleibt ein harter Kern, der zu einem steht.

Vogt: Im privaten Umfeld hatte ich stabile Erfahrungen, weil ich viele Freundschaften habe, die ich sehr bewusst außerhalb der Politik gepflegt habe. Das war mir ein großer Halt, weil mir Leute gesagt haben: Du könntest auch zurück ins private Leben. Wir finden gemeinsam einen anderen Weg. Das hat mir die Kampfkraft gegeben. Ich bekam aber auch von politischen Freunden Rückendeckung.

Siekmann, der Unternehmner: "Wenn Sie damals diesen Eindrücken von außen hätten widerstehen können, wären Sie ein Übermensch gewesen."

Herr Siekmann, die Aktien Ihrer Firma schossen anfangs in die Höhe und stürzten dann ab. Wie kam das?

Siekmann: Biodata war keine schnell aufgeblasene Firma. Sie ist 1984 gegründet worden, da war ich 16. Mein Vater war kommissarisch Geschäftsführer, weil ich noch nicht geschäftsfähig war. Diese Firma ist absolut solide über viele Jahre gewachsen. Die Firma hat Laborsoftware gemacht, dann Vernetzungen, dann Netzwerksicherheit. Und irgendwann sind wir mit unserer Firma, die damals acht Millionen Umsatz gemacht hat, an die Börse. Die Firma war am ersten Börsentag über eine Milliarde Euro wert. Das war für uns der Auftrag, um jeden Preis zu wachsen. Wenn wir aber diesen großen Sprung nicht gemacht hätten ­ das hätte damals keiner verstanden.

War es trotzdem ein Fehler, solchen Erwartungen nachkommen zu wollen?

Siekmann: Wenn Sie damals diesen Eindrücken von außen hätten widerstehen können, wären Sie ein Übermensch gewesen. Diese Erwartung war nicht nur von Kleinaktionären an uns herangetragen worden, sondern auch von den erfahrensten Leuten, den Investmentbankern, den Analysten.

Lange wurden Sie, Frau Vogt, als pragmatisch, selbstbewusst, kommunikativ gepriesen, dann hieß es: naiv, Jungmädelcharme. Wird man da nicht sauer?

Vogt: Ich fand es verletzend. Aber viele Politiker erleben Aufs und Abs. Ich habe mich geschützt, indem ich fast 14 Tage nach der Landtagswahl so gut wie keine Zeitung gelesen habe. Wenn man hämische Kommentare über sich liest, nagt es an einem, an mir jedenfalls. Was ich gelesen habe, waren an mich persönlich adressierte Briefe. Es war erstaunlich, dass es Bürgerinnen und Bürger gab, die mich nicht kannten und ihre Urteile über mir auskippten. Schlimm war, wenn die Heimatzeitung übel berichtete. Weil so etwas meinen Eltern viel näher geht als mir. Ich habe sie dann sofort beruhigt. Es gab aber auch Ermutigung.

Das hört sich tapfer an. Haben Ihre Eltern Ihnen das Stehvermögen beigebracht?

Vogt: Wenn ich in der Schule schlechte Noten hatte, sagte mein Vater: Eine Fünf in Latein, mein Gott, ein Beinbruch wäre schlimmer. Mir war immer bewusst, dass ich zu Hause um meiner selbst willen geliebt werde. Das hat meiner Schwester und mir ein hohes Selbstwertgefühl vermittelt. Das braucht man, um Niederlagen durchzustehen. Wiewohl ich sagen muss: Am Sonntagabend hätte ich mir vorstellen können auszusteigen.

Was hätten Sie dann gemacht?

Vogt: Ich bin Rechtsanwältin. Der Beruf hat zwar nicht viel mehr Ansehen als der der Politikerin (lacht), ist aber trotzdem einer, mit dem man ehrbar sein Geld verdienen kann.

Siekmann, der Unternehmer: "Es geht sehr unter die Haut. Wenn man so einen Crash mitgemacht hat, ist man über viele Jahre eine Persona non grata."

Herr Siekmann, Sie hätten sich ja einfach bei IBM anstellen lassen können?

Siekmann: Ich glaube nicht, dass ich einen guten Angestellten abgeben würde. Ich habe Abitur gemacht, nicht studiert, ich war mein ganzes Leben lang selbstständig. Und nach dem Untergang der Biodata gab es eine fürchterliche Berichterstattung. In jedem zweiten Satz stand ­ auch in der Heimatzeitung ­ dieses unheilvolle "Der Staatsanwalt ermittelt". Und wenn so etwas in der Zeitung steht, ist man ja schon schuldig, nicht?

Unternehmer werden aber nicht so gezielt angegriffen wie Politiker, oder?

Siekmann: Aber es geht trotzdem sehr unter die Haut. Und wenn man einmal so einen Crash mitgemacht hat an vorderster Spitze in Deutschland, ist man über viele Jahre eine Persona non grata. Es gab über 40 Kleinaktionärsklagen. Manche schrieben mir, dass ich ja nur auf freiem Fuß sei, weil kein Haftgrund vorliege. Wenn man morgens zum Briefkasten schlurft und so einen gelben Anklagebrief herausholt, das ist unangenehm.

Waren Sie in Panik?

Siekmann: Wenn ich mir am Anfang die Konsequenzen klargemacht hätte, hätte ich vielleicht Panik gehabt. Aber das kam alles in Häppchen. Ich hab das "Killer-Liste" genannt, die potenziellen Killer, die solche Konsequenzen haben könnten, dass man sich davon nicht mehr erholen könnte. Auf der Liste waren in Spitzenzeiten bis zu 20 "Killer" drauf. Dann hat man fünf abgearbeitet, dafür ist einer wieder dazugekommen. Wenn ich alle insgesamt angeguckt hätte, hätte ich vielleicht resigniert, aber da der Peak nie über 20 hinausging, konnte ich damit umgehen.

Ist es in Deutschland schwieriger, mit einer Niederlage zurechtzukommen als anderswo?

Siekmann: In Amerika ist es anders. Wenn man Investoren dort sagt, dass wir mal eine der erfolgreichsten Firmen des Neuen Marktes waren, sagen die Amerikaner: Mensch, so jemand hat gezeigt, dass er ein Unternehmen an die Spitze bringen kann, und zweitens hat er hoffentlich aus den Fehlern gelernt.

Wieso sind wir Deutschen nicht risikofreudig?

Vogt: In Deutschland gibt es ein großes Sicherheitsbedürfnis. Die Erfahrung zweier Weltkriege trägt dazu bei, dass die Menschen vor allem darauf achten, sich materiell abzusichern. Man sieht das auch in anderen Bereichen, etwa wenn man über die Rentensicherung und die Gesundheitsversorgung diskutiert. Diese Themen rufen ganz schnell große Ängste hervor.

Auch Politiker riskieren wenig. Kaum einer traut sich, unpopuläre Ansichten zu äußern.

Vogt: Eine der Schwierigkeiten liegt im Zusammenspiel zwischen Medien und Politik. Wenn man zugespitzter formuliert, wird daraus schnell eine Schlagzeile, die man nicht wollte. Zusammenhänge werden selten differenziert dargestellt. Nach der Landtagswahl reichte es vielen, einen Verantwortlichen zu haben. Wenn man ein Bauernopfer hat und dann der nächste Kandidat kommt, drückt man sich um eine Aufarbeitung.

Sie wollen also eine Analyse der Niederlage?

Vogt: Solche Erfahrungen haben nur einen Sinn, wenn man daraus lernt: Eine der Schwierigkeiten war, dass ich fünf Jahre lang nicht nah genug an der Landespolitik dran war, ich konnte 2001 nicht in den Landtag aufgrund des komplizierten Wahlrechts. Außerdem haben wir in der baden-württembergischen SPD zu wenige Köpfe nach außen präsentiert. Als meinen Auftrag sehe ich momentan, mehr Köpfe zur Geltung zu bringen. Es kann keine Zwei-Mann- oder Zwei-Frau-Show sein.

Siekmann, der Unternehmer: "Immer die Motivation, wieder aufzustehen und zu zeigen: Ich kann's doch!"

Das hört sich an, als ob Sie es denen aber noch mal zeigen wollen.

Vogt: Sicher spielt es eine Rolle, dass man nicht mit so einer Niederlage im Gedächtnis bleiben will. Man möchte zeigen, dass man mehr kann als die 25 Prozent.

Siekmann: Da ist immer die Motivation, wieder aufzustehen und zu zeigen: Ich kann's doch!

Woher kommt der Mut zum Weitermachen?

Siekmann: Mein Vater hat erst Chemie studiert, hatte dann keine Lust mehr und ist Berufspilot geworden. Dann kam die große Treibstoffkrise, da machte er weiter in der Chemie. Auch einer, der kämpft, nicht um jemanden zu besiegen, sondern um weiterzumachen. Mir geht es darum, Projekte auf die Beine zu stellen, die funktionieren, das ist einfach ein schönes Gefühl.

Vogt, die Politikerin: "Dass du mal verlierst, gehört halt zum Leben."

Viele scheitern beruflich oder privat. Können wir damit inzwischen besser umgehen?

Vogt: Unser Umgang mit Niederlagen ändert sich, weil die Zeit schnelllebiger geworden ist. Es überrascht mich oft, dass Dinge, die an mir noch nagen, bei anderen schon vergessen sind. An sich ist das schnelle Vergessen kein gutes Phänomen. Aber im politischen Bereich eröffnet es Chancen. Wenn der Name vorkommt, blinkt nicht jedes Mal die Niederlage mit auf.

Siekmann: Das ist in der Wirtschaft anders. Da hat man gerade durch das Internet einen sehr viel höheren Erinnerungswert. Wenn man heute ein Vorstellungsgespräch macht, ist es selbstverständlich, dass der Name vorher in (die Internet-Suchmaschine) Google eingegeben wird. Und wenn man da mal 30 000 Hits hatte, ist das eine Story, die nicht mehr vergessen wird.

Sind Sie ein guter Verlierer?

Siekmann: Ich spiele, um zu gewinnen. Aber wenn ich nicht gewinne, zerschmeiße ich kein Porzellan. Als wir ganz unten waren, ist der Cousin eines engen Mitarbeiters an Krebs erkrankt und kurz danach gestorben, multiples Organversagen, und egal was man dann gerade durchmacht, merkt man, dass es easy ist im Vergleich zu einem solchen Schicksal.

Vogt: Es kommt darauf an, was man als wirklich schlimm ansieht. Meine Eltern waren vom Krieg geprägt, mein Vater war noch Soldat. Die Dimension aller anderen Dinge schien dagegen nicht so gewaltig. Dass du mal verlierst, gehört halt zum Leben.

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