"Kerzen, die das ganze Jahr über brennen werden"
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Weihnachtslied
Kerzen, die das ganze Jahr über brennen sollten
Howard Thurman, Theologe und Begründer der "Black Theology", hat wunderbare Weihnachtsgedichte geschrieben - im festen Glauben daran, dass die Liebe siegt
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
19.12.2025
3Min

In diesem Jahr habe ich ein neues Weihnachtslied kennengelernt. Verfasst hat es Howard Thurman (1899/1900-1981), ein Begründer dessen, was man heute Black Theology nennt. Seine Eltern waren arme Leute, seine Großeltern waren noch Sklaven gewesen. Er war einer der bedeutendsten Prediger, Theologen und Aktivisten der Black Church vor Martin Luther King, dem er entscheidende Impulse für die Idee des gewaltlosen Widerstands vermittelte.

Den Grundgedanken seiner Botschaft hatte Thurman von seiner Großmutter geerbt, die ihren Enkeln etwas einbläute, was sie selbst einmal von einem versklavten Prediger gehört hatte. Dieser hielt gelegentlich in ihrer Nähe geheime christliche Versammlungen mit seinen Mitsklaven ab. Die Großmutter gab in ihrem Singsang, so beschreibt es Thurman – den triumphalen Höhepunkt der gehörten Predigten wieder: "Ihr – ihr seid keine Sklaven! Ihr seid Gottes Kinder!"

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1950 schrieb Thurman ein kleines, schlichtes Weihnachtsgedicht, das man leicht überlesen und für harmlos halten könnte, wenn man nichts von der Bedeutung und dem Mut seines Autors wüsste:

I will light Candles this Christmas,
Candles of joy despite all the sadness,
Candles of hope where despair keeps watch,
Candles of courage for fears ever present,
Candles of peace for tempest-tossed days,
Candles of grace to ease heavy burdens,
Candles of love to inspire all my living,
Candles that will burn all year long.

In der Übersetzung

Ich werde dieses Weihnachten Kerzen anzünden,
Kerzen der Freude trotz aller Traurigkeit,
Kerzen der Hoffnung, wo Verzweiflung wacht,

Kerzen des Mutes gegen allgegenwärtige Ängste,
Kerzen des Friedens für stürmische Tage,
Kerzen der Gnade, um schwere Lasten zu erleichtern,
Kerzen der Liebe, um mein ganzes Leben zu inspirieren,
Kerzen, die das ganze Jahr über brennen werden.

Howard Thurman, 1965

Weihnachten hat hier etwas ungemein Tröstliches und Stärkendes, aber ohne die faule Bequemlichkeit und selbstzentrierte Genussfreude, die sich einschleichen kann. Denn die Kerzen sollen besonders denen leuchten, die allen Anlass haben, traurig oder verzweifelt zu sein, und die ein inneres Licht brauchen, das ihnen auf ihrem Weg durch das nächste Jahr leuchtet. (Inzwischen wurden diese Verse auch mit Melodien versehen und werden weltweit immer häufiger gesungen.)

Es gibt noch ein zweites Weihnachtslied von Thurman, das noch deutlicher über die Festtage im engeren Sinne hinausblickt und danach fragt, was von Weihnachten bleibt, wenn der 26. Dezember vorüber ist.

When the song of the angels is stilled,
When the star in the sky is gone,
When the kings and princes are home,
When the shepherds are back with their flock,
The work of Christmas begins:

To find the lost,
To heal the broken,
To feed the hungry,
To release the prisoner,
To rebuild the nations,
To bring peace among others,
To make music in the heart.

Auch hier die Übersetzung:

Wenn der Gesang der Engel verstummt ist,
Wenn der Stern am Himmel verschwunden ist,
Wenn die Könige und Prinzen wieder zu Hause sind,
Wenn die Hirten wieder bei ihrer Herde sind,
Beginnt die Arbeit von Weihnachten:

Die Verlorenen finden,
Die Gebrochenen heilen,
Die Hungrigen speisen,
Die Gefangenen befreien,
Die Nationen wieder aufbauen,
Frieden unter den Menschen stiften,
Musik im Herzen zu machen.


Mein "Kulturbeutel" geht nun auch in die Weihnachtsferien und öffnet wieder am 9. Januar. Ich danke allen, die regelmäßig oder gelegentlich vorbeigekommen sind, für ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein frohes Fest und ein gesegnetes Neues Jahr.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur