Gegen Bernd passiert mir das immer: V, Y, Ä, G, Ö, M, B – was für blöde Buchstaben! Wie soll ich so das Spiel noch drehen? Ich liege sowieso schon 200 Punkte zurück.
Bernd ist mein Onkel. Und wir spielen Scrabble. Nicht von Angesicht zu Angesicht am Brett, sondern auf dem Handy. Es geht nicht anders, mein Onkel lebt in Schleswig-Holstein und ich in Frankfurt. Aber auch, wenn ich fast jedes Mal gegen ihn verliere: Es ist ein Glück, dass es dieses Spiel gibt!
Man kann viel Schlechtes über Smartphones sagen. Mich lenkt das Gerät viel zu oft ab. Es überschüttet mich mit schlechten Nachrichten, gelegentlich verliere ich mich abends auf Instagram. Es wäre sicher vernünftiger, wenn ich mich stattdessen unterhalten oder ein gutes Buch lesen würde.
Aber online Scrabble zu spielen, ist nie vertane Zeit. Ich glaube nämlich, dieses Spiel ist gut fürs Gehirn. Und vor allem: Für mich ist es ein virtueller Familientreff. Denn Bernd und ich sind nicht allein. Meine Frau spielt auch mit. Zwei Tanten sind dabei. Und meine Cousinen. Sehen können wir uns nur einmal im Jahr, wir leben in Deutschland, Italien und Dänemark. Klar, man könnte telefonieren. Meine Eltern hatten ein dickes Büchlein, in dem alle Geburtstage, Adressen und Telefonnummern fein säuberlich notiert waren. Die Sonntagvormittage bekamen Struktur durchs Frühstück – und weil die Verwandtschaft abtelefoniert wurde, immer auf Plattdeutsch. "Wo geihd?" – "Good!" – "Givt wat Needes?" – Und dann wurden Neuigkeiten ausgetauscht, aber das dauerte meist keine fünf Minuten.
Ich habe den Eindruck, dass Telefonieren aus der Mode gekommen ist. Verrückt eigentlich, man hat ja das Telefon ständig in der Hand oder in der Hosentasche. Bei unserem Festnetztelefon leert sich oft unbemerkt der Akku. Niemand ruft mehr an. Kurznachrichten, ob geschrieben oder gesprochen, scheinen das Telefonat ersetzt zu haben. Aber auch dazu muss man in der Stimmung sein.
Scrabbeln - das geht immer! Wir nutzen virtuell nicht das traditionelle Spielbrett, auf dem die Felder, die den Wert eines Wortes verdoppeln oder verdreifachen, gleichmäßig angeordnet sind. Stattdessen erstellt die App zufällige Muster, und es kann sein, dass drei Felder hintereinanderliegen, die die dreifache Punktezahl einbringen. So kann man auch verloren geglaubte Spiele noch drehen. Oder auch gleich beim ersten Zug düpiert werden.
V, Y, Ä, G, Ö, M, B? Mit der Zeit bekommt man Übung. V ist immer für das Wort "Van" gut, ein Y für die japanische Währung Yen. Und Bernd hat auch schon mal den Yeti gelegt, dieses Schneemonster, das fand ich damals nicht so lustig. Keines der Worte will mir gelingen, aber immerhin dieses passt: "Öd."
Und dann geht das Warten los. Meine Tante, die bei Scrabble Oma Ulla heißt, zieht immer morgens. Neus ist Lehrerin, sie spielt, wenn sie mit der Bahn zur Schule oder wieder nach Hause fährt. Auch bei meiner Cousine in Dänemark meine ich die Arbeitszeiten mittlerweile recht gut einschätzen zu können. Davor und danach ist immer mit ihr zu rechnen. Bernd ist Rentner, er spielt oft und ist vielleicht gerade deshalb unbezwingbar?
Egal, denn worauf es ankommt, ist: Meine Gegnerinnen und Gegner und ich schenken einander wenigstens ein paar flüchtige Gedanken, jeden Tag, indem wir spielen. Und würde jemand längere Zeit nicht ziehen, kann man gewiss sein: Wir rufen an und erkundigen uns, was da los ist. Oder wir schreiben eine Nachricht.
"Öd" also. Typisch Bernd, er hatte darauf eine Antwort, die das Spiel beendet hat. Schon wieder verloren. Er hat mich gleich eingeladen zur Revanche. Gerade beim ersten Zug muss man vorsichtig sein. Man darf keine Brücken bauen zu ertragreichen Feldern, das nutzt Bernd immer aus – als könnte er sich seine Buchstaben aussuchen.
Gerade ist es wieder passiert, ich habe die Gefahr nicht kommen sehen. Mein Onkel hat "Oxern" gelegt und ist sofort mit 78 Punkten in Führung gegangen. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, was das ist - Oxern!? Unsere Scrabble-Fassung hat eine Chat-Funktion, und wenn Bernd mit einem Wort ein Coup (kleiner Tipp: Coup ist auch ein echter Punktebringer und kann sogar noch zu Coupons werden) gelingt, schickt er oft hämische Smileys.
Meine Gegnerinnen tun das auch gern. Aber dann weiß ich wenigstens, dass es ihnen gut geht.
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