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Streiten ist gut – aber nur, wenn man es richtig anstellt. Mit dem Streiten kannte Hannah Arendt sich aus. In einer Rede mit dem wunderbaren, leider wieder allzu aktuellen Titel „Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten“ hat die Philosophin dazu einen wichtigen Hinweis gegeben.
Mit dieser wiederveröffentlichten Rede hatte sie sich 1959 für die Verleihung des Hamburger Lessingpreises bedankt. Ihr Hauptanliegen war es, die Bedeutung der Freundschaft als einer auch politischen Tugend deutlich zu machen. Zur Freundschaft gehörte für sie natürlich die intensive Debatte. Allerdings hatte sie mehrfach eine irritierende Beobachtung machen müssen:
„Uns begegnen kaum noch Leute, die die Wahrheit zu haben glauben; stattdessen sind wir ständig mit solchen konfrontiert, die überzeugt sind, recht zu haben.“
Das klingt zunächst widersinnig. Denn man würde meinen, dass Menschen, die für sich den Anspruch erheben, die Wahrheit zu haben, auch rechthaberisch sind. Doch für Arendt ist das Gegenteil der Fall. Wer an Wahrheit glaubt, sich auf Wahrheit bezogen sieht – in der Philosophie und der Religion –, weiß auch, dass diese etwas Unendliches ist, dem man sich nur annähern kann. Auch der Wissenschaft, die nach Wahrheit sucht, ist bewusst, dass ihre Ergebnisse nie endgültig sind, sondern wieder und wieder überprüft und dann sehr oft revidiert werden müssen.
Leichter kann man es sich machen, wenn man sich weder für Philosophie, Religion oder Wissenschaft interessiert. Dann ersetzt das stolze Rechthaben – mit einer Meinung, einem Vorurteil, einer Position, einem Interesse – das gemeinsame Fragen, das einander Infragestellen, also das lebendige, kritisch-freundschaftliche Gespräch. Dann kann man sich höchstens noch wütend anbrüllen.
Aber: „Wahrheit kann es nur geben, wo sie durch das Sprechen vermenschlicht wird, nur wo ein jeder sagt, nicht was ihm gerade einfällt, aber was ihm gerade ‚Wahrheit dünkt‘.“ Damit bezieht Arendt sich auf den Namensgeber ihres Preises. Denn Lessing hatte sich diesen weisen Satz vom Leitwort gewählt: „Jeder sage, was ihm Wahrheit dünkt, und die Wahrheit selbst sei Gott empfohlen!“
Barbara Sukowa spielte Hannah Arendt im Kino. Lesen Sie ein Interview mit ihr
Mit dieser skeptisch-frommen Wahrheitsliebe sowie der Unterscheidung von Rechthaben und Wahrheitssuchen beobachte man einmal die Debatten unserer Zeit, um sich dann an ihnen zu beteiligen.
Zum Nachlesen:
Freundschaft in finsteren Zeiten - Verlag Matthes & Seitz Berlin (matthes-seitz-berlin.de)