Mahlzeit Morcheln
sbk
Münchner Allerlei
Leipzig hat viel zu bieten - auch ein ehemaliges Arme-Leute Essen, das heute Haute Cuisine ist. Manchmal gibt es sogar Morcheln dazu
22.11.2023

Wenn es bei uns zuhause früher Leipziger Allerlei gab, bedeutete das viel Gemüse in einem Topf. Es war natürlich nicht das gleichnamige Dosenfutter, das im Supermarkt zu haben ist. Meine Mutter kochte nur „frisch“. Gelbe Rüben und Zwiebeln waren immer dabei, wenn ich Glück hatte, auch Erbsen, Blumenkohl, Bohnen und Kohlrabi - oder was Küche und Keller hergaben. Für meine Eltern schwamm gelegentlich ein Stück Fleisch auf dem Teller herum. Ich bekam ein Wiener Würstchen.

Dieses Gericht mochte ich trotz seiner sorgfältigen Herstellung nicht sonderlich, denn ich kann es nicht gut leiden, wenn alles irgendwie zusammengemischt wird. Da fehlen mir Übersicht und Klarheit - sogar beim Essen. Aber Meckern war natürlich nicht drin - es wurde gegessen, was auf dem Tisch stand. Meine Mutter musste zusehen, wie sie mit dem Haushaltsgeld klar kam und Verschwendung von Resten war in ihrem Sparprogramm nicht vorgesehen.

Verdutzt war ich deshalb, als mir das Leipziger Allerlei in einem guten Restaurant begegnete. Ganz schön aufgemotzt, dieses Arme-Leute-Essen, dachte ich ahnungslos. Neben den bei uns daheim verwendeten Gemüsesorten waren auch Spargel, Champignons und die teuren Morcheln im Essen. Dazu gab es kleine, putzige Grießklößchen und eine Sauce aus Krebsbutter und Flusskrebsschwänzen. Es war köstlich und nicht ganz billig. Zuhause habe ich eilends meine Bildungslücke gefüllt.

Leipziger Allerlei ist tatsächlich ein Gericht für ärmere Leute gewesen. Im 18. Jahrhundert taucht das Rezept dafür erstmals im Kochbuch einer Leipziger Hausfrau auf. Um die Stadt herum gab es zur damaligen Zeit dichte Auenwälder, in denen feine Pilze wuchsen. Gemüse war auf dem Ackerland zu haben. Krebse tummelten sich reichlich in den Flussläufen. Da konnte man zugreifen - und zahlte nicht, wie heute, zwischen 30 und 50 Euro für ein Kilo, von dem man nur Scheren- und Schwanzfleisch essen kann.

Sehr appetitlich und zugleich eine vernünftige Resteverwertung

Um 1900 hat eine Pilzkrankheit die Bestände vernichtet. Mittlerweile sind die Flusskrebse streng geschützt und dürfen nicht ohne behördliche Genehmigung gefangen werden. Züchter haben sich ans Werk gemacht, um die Edelkrebse „wiederzubeleben“, zu vermehren und teilweise auch auszuwildern. Das ist aufwändig und wird das echte Leipziger Allerlei nicht unbedingt preiswerter machen. Aber es gibt Alternativen. Kürzlich stand ich vor dem Kühlschrank und überprüfte die Vorräte.

Von keinem Gemüse war so viel da, dass ich ein Gericht aus einer Sorte hätte machen können. Also gab es „Münchner Allerlei“. In Butter angeschwitzte Zwiebeln mit einem Rest zart geräuchertem Schinken, eine Stange Staudensellerie, Wirsingblätter, in Stückchen geschnittene Petersilienwurzel und Lauchringe. Knackig in übrig gebliebenem Rosé gedünstet und abgeschmeckt mit etwas Sahne, Salz, Pfeffer und frischen Kräutern. Sehr appetitlich und zugleich eine vernünftige Resteverwertung.

Und was soll ich sagen: Eigentlich ziemlich klar und übersichtlich. Vielleicht hatte ich früher einfach was an den Augen. Und das nächste Mal gibt es Morcheln dazu! Ein bisschen Luxus darf auch mal sein.

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Kolumne

Susanne Breit-Keßler

Essen und Trinken hält Leib und ­Seele zusammen. Und darüber Neues zu lesen, macht den Geist fit. Viele Folgen lang hat Susanne Breit-Keßler Ihnen Woche für Woche ihre Gedanken dazu aufgeschrieben und guten Appetit gewünscht. Im Sommer 2024 endete die Kolumne. Die Texte sind weiter im Archiv abrufbar.