Frederick Sandys Maria Magdalena mit Damast, Alabasterkrug und roten Haaren
Diese Frau ist ein großes Geheimnis - Frederick Sandys "Maria Magdalena" mit Alabasterkrug (1858)
AKG-Images
Frederick Sandys "Mary Magdalene"
Alles ist möglich
Rote lange Haare, Alabaster, grüner Damast: Frederick Sandys lässt seine Maria Magdalena ganz schön schillern
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
12.07.2023

Diese Frau ist ein großes Geheimnis: Maria Magdalena. Für Menschen, die die Bibel gern etwas feministischer lesen würden, ist sie der Beweis, dass Frauen in Jesu Gefolgschaft mindestens gleichberechtigt und gleichermaßen vertreten waren. Papst Franziskus nannte sie gar "Apostelin der Apos­tel". Anderen gilt sie als Prostituierte, die Sex and Crime in die Bibel mischt und später zur reuigen Sünderin wird.

Für Künstler, die das Pech hatten, während besonders sittenstrenger Epochen malen zu müssen, war Maria ­Magdalena stets ein guter Vorwand, um Erotik und nackte Haut auf die Leinwand zu ­bringen – freilich unter dem Deck­mantel ­religiöser Malerei. Und hier?

Frederick Sandys, britischer Zeichner und Maler des 19. Jahrhunderts, macht es wie ein guter Koch und nimmt ein bisschen was aus allen Traditionen. Das Alabastergefäß seiner "Mary Magdalene" von 1858 markiert die unbekannte Sünderin, die Jesus die Füße gesalbt haben soll. Die Requisite zeigt vor allem eine besondere Nähe zum Heiland an. Ihr langes, wallendes Haar ist ein beliebter Verweis auf Sinnlichkeit und Erotik. Kurz gesagt: offenes Haar gleich freie Liebe.

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­Verstärkt wird der Charakterzug durch die halb geöffneten Lippen, ganz schön verrucht. So bleich und rothaarig wäre die echte Maria aber wohl nur gewesen, wenn sie wie Frederick Sandys’ Frau Emma Jones ihre Sommer in Norwich, im verregneten Osten Englands, hätte verbringen müssen, wo man die Sonnenstunden eines Jahres an einer Hand abzählen kann. Der kostbare, farbenprächtige Stoff Maria Magdalenas passt irgendwie nicht so recht zum Treue-Jüngerinnen-Image, aber vor Franziskus haben die Päpste ja auch Prada getragen, um ihre spezielle Himmelsbeziehung stofflich zu illustrieren.

Frederick Sandys hat eigentlich gar nicht so viel gemalt und wenn, dann vor allem Porträts berühmter Frauen wie dieses hier. Er hielt sich vor allem mit aufwendigen und viel gelobten Zeichnungen für diverse Magazine über Wasser, sein Werk muss daher heute von emsigen Zeitschriftensammlern zusammengeklaubt werden.

Sandys’ Malerkollege Dante ­Gabriel Rossetti, einer der Mitbegründer der Präraffaeliten, sorgte dafür, dass sein Freund ein bisschen was vom Ruhm ­seiner Gegenwart abhaben durfte, verschaffte ihm Ausstellungsräume und nahm ihn in seinen Malerbund auf. Die Präraffaeliten machten gern auf geheimnis­tuerisch ­(gute Marketingstrategie) und provozierten den etablierten Kunstbetrieb, der sich im 19. Jahrhundert am raffaelischen Renaissance-Ideal von Schönheit, Symbolik und Hierarchie in einem Bild orientierte. Rossetti und Kollegen propagierten dagegen eine vorraffaelitische Ursprünglichkeit und Natürlichkeit.

Maria Magdalena passt da ganz gut rein als Symbolfigur. Auf dem wald­grünen (Natur!) Damast im Hintergrund prangt die stilisierte heraldische Lilie, die Blume für Unschuld, Schönheit, Weiblichkeit (Maria!). Sie ist aber auch eine Trauerblume, die man im Strauß bis ­heute auf den Friedhof zu Beerdigungen mitnimmt (Kreuzigung!). Alles in allem ein ziemlich vollgeladenes Bild.

So bunt, wie Frederick Sandys hier ­Maria Magdalena auf die Leinwand bringt, sind bis heute die verschiedenen Lesarten zu einer der interessantesten und rätselhaftesten Frauenfiguren der Bibel. Die katholische Kirche gedenkt ihrer alljährlich am 22. Juli. Ein guter Anlass, um von Sandys ausgehend die Jahrhunderte der Kunstgeschichte nach Maria-Magdalena-Bildern zu durchstöbern – Abwechslung garantiert!

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