Nils Husmann
Und immer wieder die Frage: Was kann ich tun?
Was kann, soll, muss ich tun, um die Erderwärmung aufzuhalten? Versuch einer differenzierten Antwort
Tim Wegner
10.07.2023
  • Diesen Blog sollten Sie lesen, wenn Sie schon immer eine Antwort auf die Frage haben wollten, ob „ich allein das Klima retten kann“?
  • Sie sollten ihn nicht lesen, wenn Sie keine Zahlen mögen (aber ohne Zahlen geht es nicht – und keine Angst, Sie müssen nicht rechnen, das mache ich für Sie!)

 

Was kann, soll, muss ich tun, um die Erderwärmung aufzuhalten? Für mich ist das eine der interessantesten, aber auch schwierigsten Fragen, wenn es um die Klimakrise geht. Immer noch.

Zeitgleich sehe ich eine Gefahr: Wir wissen längst, dass das Klima kippt. Ich unterstelle, dass die meisten Menschen guten Willens sind; niemand möchte  so leben, dass es die Zukunft kommender Generationen ruiniert. Aber allein kann man nichts tun. Ohnmacht, Resignation, Zynismus – es sind lähmende Gefühle, die ich zunehmend in meinem Umfeld wahrnehme.

Wenn die/der Einzelne machtlos ist, steckt darin schon ein Teil der Antwort auf meine Frage: Was kann, soll, muss ich tun, um die Erderwärmung aufzuhalten? – Allein können wir es nicht schaffen. Punkt. Aber sind wir, so allein für uns, wirklich wirkungslos? Ist es egal, was ich mache? Ein merkwürdiger Gedanke im Zeitalter der Individualität, in der es so oft um Selbstoptimierung geht – und darum, gut dazustehen.

Lange Jahre war die Debatte ums Klima davon geprägt, wie „wir Klima retten“ können. Wir bei chrismon haben uns fleißig daran beteiligt. Und ich mich selbst auch. Dienstlich wie privat. Ich habe Menschen belehrt, dass es bescheuert ist, Fenster gekippt zu lassen. Hallo! Schonmal von Stoßlüftung gehört? (Stimmt ja auch). Und ich kann immer noch fuchsig werden, wenn Menschen für kurze Strecken ihr Auto bemühen.

Aber auch ich musste lernen: Es war eine ausgeklügelte PR-Strategie fossiler Konzerne, das Klimaproblem zu individualisieren. Anita Habel von den "Psychologists / Psychotherapists for Future“ hat mir ausführlich erklärt, dass das ewige „Was jeder Einzelne fürs Klima tun können“-Geraune eine  Verzögerungsstrategie ist, die den Blick auf viel wirksamere und schnellere Lösungswege bewusst verstellt. Wer Öl verkaufen will, fürchtet eine Weltwirtschaft, die mit Sonnenenergie läuft. Aber wie sollte sich eine Gesellschaft darauf einigen, wenn 80 Millionen munter mit dem Finger auf andere zeigen? Eben: nie! Es war eines der Interviews, das mir persönlich den krassesten Erkenntnisgewinn eingebracht hat.

Aber sind wir damit frei von aller Verantwortung? Oder denken wir uns gar zu leicht frei von einer „Schuld“?

Ein Beispiel: Ein Mensch hat einen Arbeitsweg von fünf Kilometern. Macht zehn Kilometer am Tag. Dieser Mensch fährt mit dem Auto zur Arbeit, es verbrennt Benzin. Pro Kilometer stößt das Auto 140 Gramm Kohlendioxid aus. Verglichen mit den 11,5 Milliarden Tonnen an CO2, die China 2021 ausgestoßen hat, ist das – genau: nichts.

Aber rechnen wir mal weiter:

Pro Tag gehen 1400 Gramm C02 für den Arbeitsweg drauf. Auch das: lächerlich. Pendelt dieser Mensch aber an 200 Tagen im Jahr, macht das: 200 mal 1400 Gramm sind gleich 280.000 Gramm. Oder: 280 Kilogramm. Der Durchschnittsmensch in China stößt pro Jahr 7,61 Tonnen CO2 aus. Also 7610 Kilogramm. Der Durchschnittsdeutsche 7910 Gramm. Und ich finde: dann sind 280 Kilogramm oder eine gute Vierteltonne nicht mehr so lächerlich wenig.

„Das Klima retten“ kann ich allein so nicht, klar. Aber wenn ich mit dem Rad pendele, statt mit dem Auto zu fahren, werde ich gesünder und fitter. Eine Win-Win-Situation. Erzählt mir dann aber der Nachbar, dass er Weihnachten unbedingt nach Thailand fliegen muss, kippe ich aus der Radlerhose. Denn der setzt dann mit einem Urlaub 6 Tonnen CO2 pro Passagier frei. Das sind 21 Mal mehr Treibhausgas als die Menge, die ich eingespart habe, weil ich bei Wind und Wetter fünf Kilometer mit dem Rad gefahren bin. Heftig, oder?

Was kann, soll, muss ich tun, um die Erderwärmung aufzuhalten? – Wenn ich darauf heute eine Antwort geben muss, fällt sie sehr viel differenzierter aus als früher. Ich würde sagen: Nein, allein könnt ihr nichts zu, um das Problem zu stoppen. Jedenfalls nicht durch Verzicht. Aber ihr habt trotzdem eine Verantwortung. Redet über das Thema, über Gedanken und Ängste. Schreibt Menschen und Institutionen an, die mehr Verantwortung tragen als ihr. Eure Wahlkreisabgeordneten zu Beispiel. Den Medien, die ihr lest. Tut euch zusammen wie die Menschen in Hürup. Seid euch auch der Macht bewusst, die ihr als Verbraucherinnen und Verbraucher habt. Wenn ein Mensch sein Auto abschafft, mag das irrelevant sein. Aber was auch immer ihr tut: Eure Nachbarn sehen es, fragen nach und machen es zwei Jahre später auch. Oft sind Vorbilder, ohne es auch nur zu ahnen. Und warum eigentlich nicht mal in ein Autohaus gehen und fragen, warum die Karren immer größer werden? Mache ich vielleicht auch einfach mal für diesen Blog!

Jedenfalls: Gar nichts tun – das ist leider keine Option mehr.

 

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Husmann: "Wir müssen die Schöpfung bewahren!"

Nee, müssen wir nicht. Wir sollen uns zu dem der Teil der Schöpfung gestalten, der/die/das dem holographischen Universum die ebenbildliche Steuerung angedeihen läßt.

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"Was kann ich tun?"

Die Antwort ist auch in Matthäus 21,18-22 zu finden.

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Klimawandel gab es schon immer und die Natur ist nun einmal das mächtigste auf der Welt. Kann ein einziger MENSCH irgendeine Welle am Strand
aufhalten? Da kommt auch kein Gott und ändert das Klima. Man kann sich nur anpassen oder geht heute auf den Strassen einer nackt herum?

Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.