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Große Küchen sind eine Freude. Man kann gemeinsam kochen, zusammen essen und ratschen, miteinander Feste feiern. Wir haben zum ersten Mal in unserem Leben auch eine große Küche. Aber ich tue das alles nicht. Nie. Ich kann es einfach nicht leiden, wenn noch andere Menschen außer mir zwischen Arbeitsplatte, Herd und Kühlschrank herumspringen. Die Küche ist mein Reich. Ich werde nicht müde, das zu erklären, damit es auch der und die Letzte versteht. „Kann ich dir etwas helfen?“ „NEIIIIINN!“ Draußen bleiben. Bitte. Ich mach‘ das schon.
Manchmal ziehe ich mich, auch ohne zu kochen, in die Küche zurück. Dort steht nämlich ein wunderbarer Sessel. Hübsch gestreift, ein wenig old fashioned. Gemütlich und bequem. Wenn ich mich hineinlümmle, vergesse ich den Rest der Welt.
Oder versuche es. Vielleicht sollte ich noch darauf hinweisen, dass auch eine Vitrine mit vielen Büchern in unserer Küche steht. Lektüre über Gesundheit und Krankheit, Einrichtungsstile, Alternative Medizin und ökologische Putzmittel. Natürlich vor allem Kochbücher und Ordner mit selbstgesammelten Rezepten.
Es ist wunderbar, lesend durch andere Welten zu bummeln. Sitzend bewege ich mich durch englische Jahreszeiten und einen internationalen Gourmetführer. Ich hänge die Beine über die Lehne und wühle mich in Bände, die von Gewürzen, Kräutern, Knödeln und Brot, von Suppe, Wiener Adventsküche, einer Schweizer Avantgardistin und deutschen Traditionsgerichten berichten. Ohne den Ort zu wechseln, höchstens die Sitzposition, überschreite ich Horizonte und Grenzen, die mir der Alltag und gelegentlich leider auch die eigene Vorstellungskraft setzen.
Mein Lesesessel geleitet mich in andere Welten. Ich erfahre, was italienische Kommissare wie Brunetti, Camilleri und Montalbano essen. Kochbücher mit inkludierten Opern-CDs empfehlen Menüs passend zu Arien und Chorwerken. Französische Spitzenköche lehren mich, wie mit Fleisch umzugehen ist, das ich nicht esse, aber zubereite und serviere. Ein britisch-israelischer Koch schreibt über „Flavour“, über Geschmack, und ich bin verzaubert. Jüdinnen erzählen aus der Familiengeschichte und von dem, was es bei ihnen an Herrlichem zu essen gab und gibt.
Eine Decke um mich herum, je nach Tageszeit einen Becher Tee oder einen Aperitif neben mir, vergesse ich die Welt, um sie – und mich – besser zu begreifen. Versunken in die Ideen anderer Köche und Köchinnen, entferne ich mich, ohne mich zu bewegen, von meinen eigenen Fertigkeiten, um danach aus Asien, Afrika, dem Nahen und Fernen Orient inspiriert zu mir selbst zurück zu kehren. Mein wunderbarer Lesesessel ist längs gestreift, nicht klein kariert. Was ich in ihm lese, verleiht der Seele Schwingen. Und es macht einen unglaublichen Hunger!
Ich koche. Jetzt. Sofort. Peking-Suppe sauer-scharf. Vegetarische Frühlingsrollen. Reis. Mangocreme. Draußen bleiben. Ich mach’ das schon.
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