Dorothea Heintze Wohnhlage Smart Home
Studio für Gestaltung, Köln, Chan Sperle, Dominik Kirgus
Unsere Wohnungen können weniger, als wir uns wünschen
Wir wollen hybrid wohnen, doch unsere Wohnungen werden gebaut wie noch 1980. Oliver Herwig schreibt seit Jahren über Wohnen, gern auch über neue Technik. Sein neues Buch heißt: "Home Smart Home"
Tim Wegner
13.07.2022

Herr Herwig, Ihr neues Buch heißt „Home Smart Home“ – wie smart ist denn ihr eigenes Zuhause?

Oliver Herwig: Ich würde sagen, so smart, wie es sein kann. Ich bin ein großer Freund von „Low Tech“, meine Fritz-Box ist schon ein paar Jährchen alt und eine Powerpoint-Präsentation kann so langweilig sein im Vergleich zu einem spontanen, freien Vortrag.

Ich hätte erwartet, bei Ihnen begrüßt Sie am Abend Alexa und der ferngesteuerte Thermomix hat dann das Menu schon fertig.

Das ist vielleicht das Paradoxe an mir. Ich bin wahnsinnig interessiert an neuer Technik zum Wohnen und schreibe auch genauso gern darüber. Aber Technik darf nie Selbstzweck sein. Das wäre für mich indiskutabel. Viel wichtiger ist für mich die gesellschaftliche Funktion von Technik. Was brauchen wir wirklich? Wo hilft uns die Technik, wo ist sie überflüssig, schadet gar…

Journalist, Moderator und Buchautor Oliver Herwig lebt in München

Und -  wo schadet sie – wo nützt sie?

Technik schadet, wenn sie uns überwacht oder unselbstständig macht. Sie nützt immer dann, wenn sie Verbindung zu Menschen eröffnet. Ambient Assisted Living zeigt, dass Technik etwa im hohen Alter ein mehr an Sicherheit bieten kann, ohne dass sie gleich in Bevormundung mündet. Sensoren melden etwa, wenn sich Wasser auf dem Boden befindet.

Sie haben Ihr Buch in der Corona-Zeit geschrieben – in einer Zeit, wo viele Menschen ihr Büro in der privaten Wohnung einrichten mussten. Eine gute Entwicklung?

Corona war eine Notsituation, doch die Tendenz verstetigt sich und da sollten wir genauer hinsehen. In der schönen großen Altbauwohnung können sie sich einen gut beleuchteten und ruhigen Arbeitsplatz einrichten. In der 3- Zimmer-Neubauwohnung sitzt der Vater mit seinem Laptop auf dem Bett. Ich sehe die komplette Auflösung zwischen Arbeit und Privatheit eher kritisch, wenn sie nicht freiwillig erfolgt, sondern vor allem Arbeitgeber-Interessen dient.

Sie schreiben viel von “ hybriden Wohnungen“. Genau das ist doch hybrid – alles vermischt sich,  fließt sozusagen ineinander über?

Wie gesagt: Bis zu einem bestimmten Punkt ist das okay, vor allem müssen die Menschen das auch wollen. Aber wenn ein Arbeitgeber, und darum geht es in unserer durchökonomisierten und durchtechnisierten Welt eben auch, immer direkter in das Privatleben seiner Angestellten Einblicke hat – die Kücheneinrichtung im Hintergrund des Bildschirms - dann finde ich das bedenklich

Mein Sohn ist grad nach Stockholm gezogen. Er hat lange nach einer Clusterwohnung, gesucht, also die Wohnform, die sie auch ausführlich in Ihrem Buch beschrieben. Das Angebot dafür, so erzählte er, lag bei unter 1 Prozent. Die Regel waren Single-Wohnungen. Und Stockholm gilt als junge, moderne Großstadt. Wie sehr liegen Realität auf dem Wohnungsmarkt und Wünsche der Suchenden auseinander?

Viel zu weit. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Wir leben zurzeit ein wenig wie in einem gesellschaftlichen Reagenzglas. Wie wollen Dinge, die es in der Realität überhaupt noch nicht gibt, auf der anderen Seite schaffen wir vielleicht Realitäten, die dann gar nicht mehr gut für uns sind.

Schön in Ihrem Buch fand ich die Rückgriffe auf Wohnformen der Vergangenheit. Wie sich z.B. die Küche gewandelt. Aus der Wohnküche Anfang des 20. Jahrhunderts wurde im Nachkriegsdeutschland die 5-qm-Einbauzeile. In heutigen Wohnungen sind Küchen die Prunkstücke, um die sich alles andere schart. Bestimmen wir die Wohnformen – oder die Wohnformen uns?

Genau das ist die Frage und die müssen wir diskutieren. Wir bauen immer noch Wohnungen, in denen Steckdosen so vorgeplant werden, dass an dieser oder jener Stelle das Doppelbett zu stehen hat. Junge Menschen schlafen aber lieber auf einem großen Sofa, nix Doppelbett und sowieso wollen sie eigentlich keine Zimmer mehr, die nur eine Funktion erfüllen können.

Noch einmal zurück zur Technik. Ich bin 62, noch kann ich mithalten, aber irgendwann lebe ich vielleicht mit einer supertoll digital gesteuerten Lichttechnik in meiner Wohnung, doch wie ich die update, das krieg ich dann nicht mehr hin. Wo hilft Technik wirklich alten Menschen, wo schließt sie sie aus?

Ich selbst bin Jahrgang 1967. Ich glaube, ich werde wahrscheinlich länger mithalten können als z.B. meine Eltern. Die wollten sich an ein Handy nicht mehr gewöhnen. Das Problem verschiebt sich aber nur in die Zukunft. Irgendwann werden auch wir an unsere Grenzen stoßen und vielleicht nicht mehr jeden technischen Innovationszyklus und -zirkus mitmachen wollen. Aber wir werden eine echte Ausstiegsmöglichkeit vermutlich nicht erhalten, wenn wir am Leben irgendwie teilhaben wollen.

Das Problem ist doch aber, dass die schicken variablen Wohnungen, die tolle Soundtechnik oder das Schließsystem von Menschen entwickelt werden, die definitiv einer anderen Generation als der meinen angehören…

Eben, und deshalb müssen wir weg von dem Begriff „Verbraucher*in“ hin zum Begriff „Nutzer*in“, wir brauchen gemischte, inclusive Entwicklerteams, wo genau die Menschen sitzen, für die auch geplant und designt wird. Ich denke gerne an den amerikanischen Designer Ron Mace, der schon vor über 25 Jahren forderte, die Welt für alle zu öffnen, mit vielfältigen Zugängen und Optionen, wie es das Smart Phone später einlöste: Wer schlecht sieht, vergrößert die Schrift oder lässt sich Texte vorlesen. Das ist Mehrwert für alle, der auch in unseren Wohnungen einziehen sollte.

Buchinfos:
Home Smart Home. Wie wir wohnen wollen. Birkhäuser Verlag 2022, 176 Seiten, 30 Abb. 32 Euro (Mehr zum Thema Universal Design in einem weiteren Buch des Autors: Universal Design. Lösungen für einen barrierefreien Alltag, Birkhäuser Verlag, E-Book)

 

 

 

 

 

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.