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Brauche ich das wirklich alles?
Letzte Woche ging es hier um bedrohtes Wohnglück in Witzenhausen: Bauwagenplätze. Warum provozieren die eigentlich so viel Gegenwind?
Tim Wegner
27.07.2021

Diesen Blog gibt es, weil ich neue Lebens- und Wohnformen beschreiben möchte. Als Beispiel für andere, vielleicht nur als Idee im Kopf, vielleicht auch als einen ganz praktischen Tipp zum Nachmachen.

Letzte Woche hatte ich von Lena aus Witzenhausen erzählt.

Ihr Wohnglück steht auf einem Bauwagenplatz in Witzenhausen, winzig klein, aus alten Hölzern erbaut, mit einem schönen Blick ins Tal und sehr, sehr ruhig. Ob Lena in ihrem selbst gezimmerten Zuhause wirklich einmal leben wird, steht in den Sternen. In Witzenhausen gibt es Streit. Streit um die Zulassung von Bauwagenplätzen generell, oder um es etwas höher zu hängen: Streit um neue Lebensmodelle.

Das scheint mir nicht neu. Da, wo es Bauwagenplätze gibt, gibt es häufig Streit. Natürlich immer dann, wenn leerstehende Grundstücke einfach besetzt und illegal bewohnt werden. Aber auch wenn Städte und Kommunen die Plätze offiziell zulassen, gibt es Ärger. Das ist hier in Hamburg, nicht anders als in Witzenhausen oder Berlin. Bauwagenplatz-Bewohnerinnen provozieren. Ihr Wohnglück heißt eben nicht Eigenheim, Balkon und Bodenheizung, sondern radikaler Konsumverzicht, wenig Platz - und Energieverbrauch. Es zählt das Kollektiv statt des Individuums. Persönlicher Besitz ist ein Tabu und Bereicherung durch Spekulation mit Grund und Boden ein grundsätzlich zu bekämpfendes Thema.

Das gilt auf jeden Fall für die Bauwagenplätze, die sich, wie eben der Verein von Lena in Witzenhausen, auch eine politische Agenda für ihr Zusammenleben gegeben haben. Bauwagenplätze wollen provozieren und herausfordern. Menschen, die dort leben, stellen unser, konkret also auch mein Lebensmodell, mein Wohnglück, infrage. Sie verunsichern. Brauche ich wirklich all das zum Leben, was ich in meiner Wohnung habe? Muss ich soviel Platz allein für mich haben? Wie sehr schädige auch ich mit meinem Leben und Konsumverhalten das Klima? Es sind solche Fragen, die bestimmt nicht nur ich mir stelle, wenn ich mit vollkommen anderen Lebensformen konfrontiert werde.

Der Bürgermeister meldet sich aus dem Urlaub

Und wie geht es weiter in Witzenhausen? Ich hoffe weiter sehr, dass den Bauwagenplätzen dort trotz aller gesetzlichen Probleme eine Chance gegeben wird. Mittlerweile hat die Initiative eine Unterschriftenaktion gestartet, die Lokalzeitung berichtet weiter und wenn die Sommerferien um sind, soll die Machbarkeitsstudie erst mal fertig gestellt und angeschaut werden.

Denn dass die Studie nun doch erst mal fertig gestellt wird, das hat mir Daniel Herz, Bürgermeister von Witzenhausen, vorgestern am Telefon erzählt. Obwohl der parteilose Kommunalpolitiker im Urlaub ist, hat er sich bei mir gemeldet. Ich kann mir nur annährend vorstellen, wie anstrengend das Leben von Bürgermeistern zurzeit ist und bin immer wieder voller Bewunderung für dieses Engagement. Danke dafür!

Wie Sie mir erzählt haben, fühlen sie selbst viel Sympathie für die Bauwagenplatzbewohner:innen. Doch als Bürgermeister der ganzen Stadt müssen Sie sich um die Belange von allen kümmern, und längst nicht alle teilen ihre Grundsympathie. Sie selbst haben in der Stadtverordnetenversammlung gar nicht mit abstimmen dürfen und Ihnen als Bürgermeister sind nun die Hände gebunden, weil die Bauaufsicht beim Landkreis und nicht bei Ihnen in der Stadt liegt.

Wie schon letzte Woche geschrieben: Die Einzelheiten der Kommunalpolitik kann ich hier im Blog nicht aufgreifen. Ich kann immer nur anregen. Wer weiß, vielleicht eröffnet ja auch das frisch verabschiedete Baulandmobilisierungsgesetz neue Handlungsspielräume für die Bewohner:innen, für den Bürgermeister, die Stadtverordnetenversammlung und den Landkreis.

Die Bauwagenplatz-Ini hat übrigens schon viele hundert Stimmen zusammen. Wir bleiben dran.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.