E-Mail aus Tansania: Wir statt ich
Members of Scouts wait for the coffin of the late Tanzanian President John Magufuli before the farewell mass at Magufuli Stadium in Chato, Tanzania, on March 26, 2021 - Tanzania's late president John Magufuli was laid to rest Friday in his ancestral village in the country's northwest after his sudden death last week from an illness shrouded in mystery. Nicknamed the "Bulldozer" for his leadership style, Magufuli was buried in Chato after nearly a week being mourned by crowds in various cities as his casket was moved around the country. (Photo by - / AFP) (Photo by -/AFP via Getty Images)
AFP/Getty Images
Wir statt ich
Keiner lebt für sich allein. In Tansania ordnen sich auch junge Leute der Gemeinschaft unter.
07.06.2021

Der tansanische Student begrüßte mich in fließendem Deutsch. Ich war überrascht. Er erzählte, dass er ein Jahr lang in Deutschland gelebt hatte, für ein Volontariat in einer Kirchengemeinde. Eigentlich ein Sechser im Lotto. Einmal nach Europa ‒ davon träumen wirklich alle und dann ein ganzes Jahr! Aber je besser ich den jungen Mann kennenlernte, des­to mehr bedauerte ich ihn. Er ist Teil einer großen Maasai-Familie. Diese ging selbstverständlich davon aus, dass alle Mitglieder profitieren, wenn einer von ihnen so eine Chance bekommt. Jeder wisse ja, dass Deutschland reich sei . . .

Privat

Gabriele Mayer

Gabriele Mayer ist Pastorin der Nordkirche. Sie lebt im Norden von Tansania und unterrichtet am Bible College in Mwika, wo Pastor:innen, Evangelist:innen und Gemeindehelfer:innen aus ganz Tansania studieren. Sie ist vom Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche entsandt. 

Ich sah, wie der Student zunehmend unter Druck geriet. Unter Deutschen wurde schon vor ihm gewarnt, weil er jeden um Geld bat. Oft für dieselbe Sache. Aber er hatte keine andere Chance. Die Familie nahm ihn in die Pflicht, weil er Kontakt zu Europäer:innen hatte. Mal brauchte ein Onkel Geld für Medikamente, mal die Cousine eine Schuluniform. Die Familie sorgte dann auch dafür, dass er bald heiratete. Er wäre lieber erst mal seinen eigenen Interessen gefolgt, wie er das in Deutschland erlebt hatte.

Demut und Gehorsam

Man lebt nicht allein für sich – ich staune immer wieder, wie sehr den Menschen das hier bewusst ist. Sie fühlen sich der Familie, der Gesellschaft und der Kirche verpflichtet. Und Gott. Über sein Leben entscheidet man nicht selbst. Das fiel mir einmal mehr bei einer Vorstellungsrunde auf. Als ich dran war, erzählte ich wie immer: "Ich entschied mich, dann bewarb ich mich . . ." Die Tansanier:innen dagegen benutzten durchgehend Passivformen: "Ich wurde ausgesucht, versetzt, gerufen . . ." Dass sie dem Ruf auch folgen, steht außer Frage. Demut und Gehorsam gelten als ­Tugenden. Sie werden zum Beispiel bei Beerdigungen gewürdigt, ­etwa auch beim kürzlich verstorbenen Präsident John Magufuli.

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