Ende Februar: Ich sitze im Parkhaus der Deutschen Klinik in Santiago, das kurzerhand zum Wartesaal umfunktioniert worden ist. Ich bin ein bisschen aufgeregt, denn gleich werde ich meine erste Corona-Impfung erhalten. Weniger ist es die Aussicht auf persönlichen Schutz, die mich bewegt, als mehr das wirklich ausgezeichnete Gefühl, Teil vom "Ende der Pandemie" zu sein. Dies schien sehr nah, verfolgte Chile doch eine hochgelobte und konsequente Impfstrategie.
Der Krankenschwester muss ich mein Zertifikat vorzeigen, welches belegt, dass ich an einer Schule arbeite – Menschen im Bildungsbereich sind nach medizinischem Personal und allen über 70 Jahren als dritte Impfgruppe priorisiert worden. Sie vermutet, dass ich Deutschlehrer sei, und als ich das verneine und erkläre, dass ich als Pfarrer Religionsunterricht gebe, werde ich in der Impfkabine erst mal in ein grundsätzliches Gespräch verwickelt: Sie sei ja schon gläubig – aber wie es denn sein könne, dass Gott so viel Leid zulässt, besonders bei den Kindern?
Krankenhäuser vorm Kollaps
Heute, zwei Monate später, hat das Leid nicht aufgehört. Zwar sind in Chile inzwischen über 40 Prozent der Bevölkerung einmal gegen Covid-19 geimpft, ein Großteil von diesen auch ein zweites Mal. Aber die Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps, für große Teile des Landes gelten umfassende Ausgangsbeschränkungen. Es wird viel diskutiert, woran das liegt. Am schlechter wirkenden chinesischen Impfstoff, der im Impfprogramm bisher eine zentrale Rolle spielte? Oder an den neuen Varianten, die zum Beispiel aus dem nahen Brasilien eingeschleppt worden sind? Manche verweisen auch darauf, dass die Bevölkerung erschöpft ist, was das Einhalten der Corona-Maßnahmen anbetrifft. Andere meinen, dass der Ruf, "Impfweltmeister" zu sein, viele zum Leichtsinn verführt habe.
Zweimal wöchentlich raus
Das "Ende der Pandemie" scheint aktuell jedenfalls weiter entfernt zu sein als noch vor ein paar Wochen – sowohl, was die täglichen Zahlen als auch, was die konkreten Lebensumstände angeht. Wie die meiste Zeit im Jahr 2020 läuft wieder alles digital: Gemeindearbeit, Schule der Kinder, Spieleabend mit Freunden, Einkaufen. In weiten Teilen des Landes darf man aktuell zweimal für je zwei Stunden das Haus verlassen – nicht pro Tag, sondern pro Woche! Die gerade in Deutschland diskutierten "Verschärfungen" wirken aus dieser Perspektive wie "Freiheit".