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Manchmal bin ich „angefressen“. Dann, wenn anderen die kulinarische Pädagogik schwarz aus dem Mund tropft oder durch die Zeilen läuft. Wenn man erfährt, was man alles auf gar keinen Fall niemals essen darf oder unbedingt täglich muss, um weder der Einen Welt, noch den Tieren oder der nachfolgenden Generation zu schaden, selber 100 Jahre alt zu werden und dann ökologisch kompostierbar zu sein. Was ich unter manchen Bedingungen lieber nicht möchte. Wenn Prinzipien, die man für sich als sinnvoll erkannt hat, als Food-Fundamentalismus daherkommen, wird mir übel. Nein, ich werde keine Veganerin, futtere auch nicht täglich Weizenkleie oder trinke Gras.
Damit wir uns richtig verstehen: Wir essen zuhause regional und Bio, dazu wenig Fleisch. Ich achte auf die Klimabilanz von Lebensmitteln, rette Gemüse vor dem Wegwerfen, spare Plastik, verwende Stoffsäckchen, koche mit Resten, kaufe nix mit Palmöl und Fisch nur aus der Nachbarschaft oder mit Siegel. Ich glaube, dass es gut ist, sich darüber auszutauschen und politische Konsequenzen zu ziehen, damit alle Menschen genug zu essen und sauberes Wasser haben. Ja doch! Aber kann man das bitte mit Freude und Begeisterung, mit Liebe zum Leben machen? Jesus fand, dass man schon beim Fasten nicht „sauer dreinsehen soll“. „Wie die Heuchler“, sagte er noch.
Glück mit Mohn
So. Das wäre jetzt heraus. Denn ich möchte mit der gleichen Wonne, mit der ich unsere Ernährung zuhause verantwortlich und genussreich gestalte, auch mal lustvoll sündigen. Da liegt diese Mohnsemmel beim Bäcker und lacht mich an. Natürlich: Weißes Mehl, bloß tote Kalorien, keine Ballaststoffe. Und der Mohn? Zunehmend werden verunreinigte Sorten gehandelt, deren Morphingehalt nicht ideal ist. Nicht, dass ich dann noch bei einem Drogentest durchfalle … Na, so viel ist wohl kaum drin. Trotzdem – sollte ich nicht lieber die Körnersemmel aus Kartoffelmehl mit Kürbiskernen und anderem gesundem Zeug nehmen? Nein.
Vor alle automatisch auftauchenden Warnhinweise schiebt sich das Bild meines Vaters. Wie er am Samstagmorgen, angetan mit einer blauen Arbeitshose und einem karierten Hemd, sich auf sein Fahrrad geschwungen hat und zum Bäcker gefahren ist. Zurück kam er mit Brez´n, Brötchen und einer Mohnsemmel für mich. Dazu Tomatenstreichkäse – vermutlich mit künstlichen Phosphaten und Nitrosaminen. Ich will es nicht wissen. Denn das war ganz einfach nur pures Glück und Liebe. Der Vater, der losbraust, um Frühstück zu bringen, herrliches, knuspriges, cremiges Frühstück. Ich kaufe die Mohnsemmel. Den Käse gibt es längst nicht mehr. Meinen Vater schon – jetzt hier, direkt in meinem Herzen.
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