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Die Kirchenkritiker können sich gegenwärtig nicht entscheiden. Zum einen schreibt jeder vom anderen den Satz ab: „Die Kirche schweigt in der Corona-Krise!“ Das ist zwar empirisch falsch und seltsam gedankenlos, aber gerade halt beliebt. Zum anderen bestätigt einer den anderen in dem Urteil: „Die Kirche hat eine schlimme Sprache!“ Also, was denn jetzt?
Hier nun zum zweiten Vorwurf. Ja, er stimmt, viele kirchliche Repräsentanten bedienen sich eines Jargons. Das war früher nicht anders. Da nannte man es „die Sprache Kanaans“. Sie ist inzwischen abgelöst durch einen sozialpädagogischen Mitnehm-Sound. Das Sprechen im Jargon ist stets ein Indiz dafür, dass man zu wenig an die frische Luft kommt. Dies soll es bei anderen Berufsgruppen wie Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern, Kuratoren oder Influencern auch geben. So richtig interessant ist das also nicht.
Interessanter finde ich die Frage, wie es denn gehen könnte: in einem verständlichen und schönen Deutsch über den christlichen Glauben sprechen. Zu zeigen, wie es nicht geht, ist ja flink gemacht. Da es gerade so heiß ist, erleichtere ich mir die Aufgabe, indem ich nur einen Hinweis und ein Beispiel vorstelle.
Niklaus Peter ist Pfarrer am Fraumünster in Zürich (das ist die Kirche mit den Chagall-Fenstern). Regelmäßig schreibt er für eine Schweizer Zeitung christliche Kolumnen. Jetzt ist eine zweite Sammlung davon im Radius-Verlag erschienen. Wer sie liest, dem geht auf, wie es gehen könnte: Es sind kurze Texte mit einem Gedanken (nicht zwei oder drei), angestoßen durch eine Begegnung, einen Fund, eine Geschichte, entfaltet wie mit leichter Hand, einfach, klar, ansprechend, konzentriert und entspannt zugleich. Wenn man sie liest, denkt man sich: „So schwer kann das ja nicht sein.“ Ist es dann aber wdoch. Vor allem weil diese Texte von einer gewissen Ruhe leben. Die aber könnte man sich doch auch nehmen und es dann selbst versuchen. Hier nun eine Kolumne von Niklaus Peter, die mir deshalb so gut gefallen hat, weil sie eine altbekannte Frage einfach nur umgedreht hat, und schön öffnet sich ein neuer Blick:
„Die einfachen Fragen sind die schwierigsten: Wie finde ich zu Gott? – Diese Frage ist nicht identisch mit der nur geringfügig anders lautenden Frage: Wie finde ich Gott?
Bei der zweiten sitzt einer hinter einem Fernrohr oder Spezialokular und sucht ein seltsames Objekt, während es bei der ersten um einen Weg und um eine Begegnung geht, bei der ich und mein Selbstverständnis grundlegend verändert werden.
Wenn man nämlich so fragt: Wie finde ich zu Gott? – dann kann die Antwort nie Fundsache, danach auch nie gesicherter Besitz oder reproduzierbare Erkenntnis sein, sondern eine existenzielle Erfahrung und als solche: Erhellung meiner Situation und Erneuerung.
Die Aussage, dass Glaube ein Geschenk sei, ist dann keine Ausflucht, genauso wenig wie der Rat, die Frage umzukehren: Wie findet Gott zu mir? Denn die Geschichte der philosophischen Gottesbeweise hat zu logischen Verhedderungen, zu Verstiegenheiten und verengten Dogmatisierungen geführt, mit denen der Philosoph Kant und andere zurecht aufgeräumt haben.
Die Frage, wie Gott zu mir finden kann, kehrt die Blickrichtung um, schärft die Wahrnehmung dafür, wo ich selber durch mein Denken, durch religiöse oder wissenschaftliche Weltanschauungen, genauso wie durch mein Leben und Tun genau das blockiere und verhindere, wonach ich mich sehne: eine existenzielle Begegnung mit jenem Geheimnis, das mit dem beschmutzten, missbrauchten Wort »Gott« nur dürftig benannt ist.
Der Rat, die Frage umzukehren, ermuntert dazu, mit all jenen Hindernissen, jenen nicht aufgearbeiteten Trümmern des Kinderglaubens, aber auch mit seltsam rationalistischen Verengungen abzufahren. Deshalb gehört Religionskritik – als Sichtung des eigenen Götzenglaubens – zu jeder mündig gewordenen Religiosität. »Bei den meisten Menschen gründet sich der Unglaube in einer Sache auf blinden Glauben in einer anderen«, sagt Lichtenberg.
Das muss man für sich selbst in Angriff nehmen und Wege freimachen. Aber man wird es nie ganz alleine tun können, denn solches übt man nicht solo im Kämmerchen ein. Übungsorte und Erfahrungsoasen gibt es dafür zuhauf, wie religiöse Feiern, Gespräche in der Gemeinde, geistliche Konzerte, Naturerlebnisse, Kunsträume, Literatur und Filme – man könnte hier ja mal versuchsweise den Tunnelblick durch Weitwinkelaufmerksamkeit ersetzen.“
P.S.: Wer mal etwas wirklich Schönes hören will, dem empfehle ich die Radiosendung, die Burkhardt Reinartz über Mascha Kaléko vor kurzem für den Deutschlandfunk – komponiert hat. Bitte hier anklicken!