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Einsam denken – über dem Höllentor
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
24.04.2020

Welches Werk der Kunstgeschichte passt besonders zu unserer pandemischen Gegenwart? Vielleicht der „Denker“ von Auguste Rodin: In maximaler sozialer Distanz sinnt er heroisch über das Elend der Gegenwart nach, in die düstere Zukunft mag er nicht schauen.

Doch vor wenigen Monaten – also in einer anderen, fernen Epoche – habe ich ihn in Zürich gesehen. Dort steht er als Teil der Großskulptur „Das Höllentor“ vor dem Kunstmuseum. Ganz oben ist da der Denker zu sehen, keineswegs einsam, sondern als Teil eines apokalyptischen Wimmelbildes. Unter ihm droht sich das Tor zur Hölle zu öffnen. So stellte sich Rodin den Autor der „Göttlichen Komödie“, Dante Alighieri, vor. Warum er als Modell allerdings den äußerst muskulierten Preisboxer und Rotlicht-Helden seiner Tage, Jean Baud, wählte, wird auf ewig sein künstlerisches Geheimnis bleiben.

Interessanter als mögliche Assoziationen zur heutigen Weltkrise aber ist diese Geschichte des Werks, die mir damals – ach, damals – der Pfarrer des Zürcher Fraumünsters, Niklaus Peter, erzählte. (Er schreibt übrigens sehr anregende theologische Kolumnen. Zwei Sammlungen sind schon im Radius-Verlag erschienen.) Hier also die Geschichte:

1942 entstand dieser Guss, der vierte von insgesamt neun, in Paris. Der Auftrag kam aus Deutschland. Dieses „Höllentor“ sollte den Eingang des geplanten „Führermuseums“ in Linz bilden, in dem all die vielen von den Deutschen im Krieg geraubten Kunstwerke ausgestellt werden sollten. Auf diese Idee muss man auch erst einmal kommen: durch’s Höllentor zur Raubkunst. Ausgedacht hatte sich dies Hitlers Lieblingsbildhauer, Arno Breker. Der Krieg machte einen Strich durch die perfide Rechnung. Der Guss wurde erstellt, aber weder bezahlt noch abgeholt. Das „Führermuseum“ blieb ein Fiebertraum von Herrn Hitler. Nach dem Krieg kam dieses „Höllentor“ zu einer Ausstellung ins neutrale Zürich und blieb dort. Die wenigsten, die heute an ihm vorbeigehen, werden wissen, dass es eigentlich das verhinderte Denkmal deutscher Kriegsverbrechen ist.

P.S.: Wer an einem kurzen, aber differenzierten theologischen Plädoyer für Gottesdienste in Pandemie-Zeiten interessiert ist, dem empfehle ich diesen Artikel von Arnulf von Scheliha.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur