Umzug – und das mir. Wenn ich mich mal eingenistet habe, will ich nicht mehr weg. Aber der Vermieter meinte, die Wohnung selbst zu brauchen. Wir haben endlich ein neues Zuhause gefunden, nun müssen wir viel organisieren und entscheiden. Was nehmen wir mit? Was müssen wir neu anschaffen? Brauchen wir wirklich einen neuen Teppich? Passen die Sofas noch? Die Gardinen? Und erst die Lampen . . . Ich könnte heulen.
Susanne Breit-Keßler
Die notwendigen pragmatischen Entscheidungen und geschmacklichen Auseinandersetzungen haben für mich einen hohen emotionalen Charakter. Fragen der Nachhaltigkeit helfen mir, wieder sachlich zu werden. Was können mein Mann und ich dazu beitragen, dass unser Umzug – dessen Spaßfaktor sowieso minimal ist – sich nicht zusätzlich negativ auf die Umwelt auswirkt? Was können wir tun, um unseren ökologischen Fußabdruck möglichst gering zu halten, wenn wir die nächsten vier Wände beziehen?
Wer sich Bad, Küche und Heizung mit anderen Menschen teilt, der lebt meist nachhaltiger und verbraucht weniger Energie. Das sehe ich ein. Allerdings sind Wohngemeinschaften noch nie mein Ding gewesen. Die Vorstellung, mit fremden Leuten auf wenigen Quadratmetern zusammenzuleben, ist für mich Individualistin, gelinde gesagt, nur mäßig reizvoll. Aber immerhin ist bereits eine Wohnung, die wir zu zweit bewohnen, ein Fortschritt gegenüber dem gehobenen Single-Loft im Industrie-Schick.
Nicht ohne Energieausweis
Man muss sich spätestens bei der Besichtigung den Energieausweis der Wohnung zeigen lassen. Allein schon die Nachfrage macht Makler oder Vermieter darauf aufmerksam, dass die Entscheidung für oder gegen den Vertrag damit zusammenhängt, wieviele Nebenkosten entstehen. Ist kein Energieausweis vorhanden oder sind die Werte mäßig, sollte man davon Abstand nehmen einzuziehen.
Wir haben allerdings keine große Wahl: In München werden Neubauwohnungen zurzeit für durchschnittlich 19 Euro pro Quadratmeter vermietet und Bestandswohnungen für durchschnittlich 17 Euro. Da müssen wir nehmen, was kommt. Immerhin sind in der Wohnung, für die wir uns entschieden haben, die Fenster super abgedichtet.
Serie Nachhaltigkeit
Folge 1: Mode Secondhand Folge 2: Gut kochen und die Umwelt schonen Folge 3: Möbel, die lange halten
Woher beziehen wir den Strom? Laut einer Studie der Europäischen Kommission von 2015 sind 42 Prozent der Deutschen bereit, vier Euro mehr im Monat auszugeben, wenn sie dadurch erneuerbare Energien fördern können. Dazu gehören auch wir.
Die App "Siegelklarheit" hilft
Es gibt eine erkleckliche Anzahl unabhängiger Ökostromanbieter. Bei der Auswahl sind Güte-Siegel hilfreich, weil nicht alle Angebote so "grün" sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Das OK-Power-Siegel oder das Label "Grüner Strom" sind vertrauenswürdig. Auch die Internetseite ecotopten.de/strom ist bei der Auswahl behilflich. Wir entscheiden uns schließlich für den regionalen Strom unserer Münchner Stadtwerke.
Bei der Einrichtung der Wohnung stellt sich heraus, dass vieles nicht mehr passt. Die Auswahl neuer Möbel ist ein teures und anstrengendes Vergnügen. Ist der Teppich, den wir brauchen, ohne Kinderarbeit produziert? Sind die Vorhänge unter menschenwürdigen Bedingungen entstanden? Wir durchsuchen Internetseiten und stoßen auf das Siegel "Goodweave" für Teppiche und die App "Siegelklarheit". Damit finden wir uns in den Geschäften zurecht. Was wir nicht kennen, überprüfen wir. Übrigens: Brauchen wir tatsächlich neue Sitzgarnituren? Nein. Die alten sind gut genug. Und so herrlich vertraut!
Secondhand geht vor Kaufen. Alles, was man über Kleinanzeigen, den Flohmarkt in der Nachbarschaft oder Tauschbörsen bekommt – etwa free-your-stuff.com – ist ökologisch nachhaltiger als neue Produkte. Ich verschenke gerne, was ich übrighabe. Was wir anschaffen, wird per Gütesiegel geprüft: Das EU-Energielabel hilft bei der Auswahl von Elektrogeräten. Das internationale Forest Stewardship Council (FSC) empfiehlt Holzprodukte aus sozialer und ökologischer Waldbewirtschaftung. Unter nachhaltiger-warenkorb.de/siegel gibt es noch mehr Hinweise.
Kein Tiny-House aber vielleicht ein Minihaus?
Noch sind wir nicht so weit, uns für ein Tiny-House zu entscheiden. In Deutschland bieten mittlerweile mindestens 20 Firmen solche bezugsfertigen Kleinsthäuser an. Sie haben maximal 35 Quadratmeter und sind ab etwa 30 000 Euro zu haben.
Grundsätzlich finde ich den Gedanken, sich zu beschränken, aber durchaus reizvoll. Ganz im Sinne der Bergpredigt: "Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen . . . Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Auf was kann ich verzichten? Möbel, Flat-Screen, Bücher? Am wenigsten auf Literatur.
Aber zu den klitzekleinen Hütten gibt es eine Alternative: Minihäuser. Die haben mindestens 50 Quadratmeter, man kann sie sogar mit zwei Stockwerken und fast 90 Quadratmetern haben. In die habe ich mich tatsächlich verliebt. Ich finde den Gedanken höchst verführerisch, so ein Haus zu besitzen. Da könnten wir alles unterbringen, was uns wichtig ist: eine kleine Küche, unsere Bücher, Stereoanlage für Bach und Rock’n Roll, Fernseher, Bett, Kleiderschrank, und, unverzichtbar, ein Sofa, auf dem wir uns zu zweit aneinander kuscheln.
Johannes Brahms vertont in seinem Requiem die biblische Hoffnung, dass Menschen nach dem irdischen ein Leben bei Gott haben werden: "Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! (…) Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar. Denn wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir." Jedes Wohnen auf Erden kann hoffnungsvoller Abglanz der Ewigkeit sein. Angefangen bei dem Kauf fair gehandelter Produkte über das fröhliche Verschenken bis hin zum klugen Umgang mit dem Lebensende.