Kirchen dürfen bei Stellenausschreibungen nicht mehr pauschal von jedem Bewerber eine Religionszugehörigkeit verlangen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt im Oktober entschieden. Es sprach einer Frau eine Entschädigung zu, die sich bei einer Stellenbewerbung beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung benachteiligt sah, weil sie keiner Kirche angehört. Das Erfurter Gericht betonte wie zuvor der Europäische Gerichtshof: Eine Kirchenmitgliedschaft dürfe nur verlangt werden, wenn die Religion eine "wesentliche" berufliche Anforderung "angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft" sei. Fragen an Jacob Joussen, Rechtsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
chrismon: Herr Professor Joussen, was bedeutet das Erfurter Urteil für die zukünftige Einstellungspraxis in Kirche und Diakonie?
Jacob Joussen: Wenn das Urteil Bestand hat, wird es eine große Einschränkung bedeuten im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit der Kirchen. Wen wollen sie beschäftigen, in welchen Stellen sollen Konfessionsangehörige arbeiten? Das wird sehr viel stärker gerichtlich überprüft werden. Der Spielraum wird kleiner werden.
Jacob Joussen
Steht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht insgesamt infrage?
Nein. Das ist ein Verfassungsgut. Es zu ändern ginge nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Das sehe ich im Moment nicht. Aber wie sich das Selbstbestimmungsrecht gegenüber den Rechten der Arbeitnehmer durchsetzt, das muss neu justiert werden. Früher mussten die Rechte der Betroffenen sehr oft gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zurücktreten, jetzt tendiert die Rechtsprechung in die Richtung, beide Rechte in einen Ausgleich zu bringen.
Raten Sie dem Diakonischen Werk, das Bundesverfassungsgericht anzurufen?
Das hängt von der schriftlichen Urteilsbegründung ab, die noch aussteht. Das schon bekannte Ergebnis des BAG überzeugt mich jedenfalls nicht.
In welchen kirchlichen und diakonischen Berufen müssen Mitarbeiter Innen dem Erfurter Urteil zufolge Kirchenmitglieder sein? Beispiel: Erzieherin in einer kirchlichen Kita?
Sie legen den Finger in die Wunde. Beim Diakon und Gemeindereferenten ist das leicht zu sagen: Sie müssen Kirchenmitglied sein. Ein Hausmeister braucht das nicht. Und gehören Erzieherinnen so nah in das Zentrum der Glaubensverkündigung? Die Kirchen selbst bestehen auf die Mitgliedschaft gar nicht mehr in jedem Fall.
Beispiel: Schulleiter an einer kirchlichen Schule?
Da wird man auch nach der neuen Rechtsprechung die Konfessionszugehörigkeit verlangen können. Es ist eine Leitungsaufgabe, wichtig für die Prägung der Schule.
Und ein Bibliotheksleiter in einer kirchlichen Einrichtung?
Da tue ich mich schwer, die Kirchenzugehörigkeit zu verlangen. Aber er darf durch die Art und Ausführung seiner Tätigkeit das Ethos der Institution nicht in Misskredit bringen.
Pressestellenleiter in der Kirche?
Sie vertreten nach außen die Kirche, sind ihr Sprachrohr. Mein Eindruck ist:
Auch Bundesarbeitsgericht und Europäischer Gerichtshof akzeptieren das Erfordernis der Kirchenzugehörigkeit.
Warum überhaupt Kirchenmitgliedschaft? Reicht nicht eine Identifizierung mit christlichen Werten?
Wichtig ist vor allem die Identifizierung mit dem kirchlichen Auftrag. Aber es stellt sich auch die grundsätzliche Frage: Was ist überhaupt Mitgliedschaft in der Kirche? Ist da die Kirchensteuer entscheidend?
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sagt: "Gut, wenn bei verkündigungsfernen Tätigkeiten jetzt nur noch Eignung und Qualifikation zählen dürfen und nicht mehr so etwas sehr Persönliches wie der Glaube."
Ich mag die Kampfansage in dieser Formulierung nicht. Aber prinzipiell ist es schon richtig, dass die Kirche ihre Entscheidungen begründen muss.
Sind Gerichte überhaupt in der Lage zu beurteilen, was wesentlich für die Kirche ist, oder droht da eine Richter theologie?
Ja, sie könnte drohen. Das Bundesverfassungsgericht hat genau das immer gesagt: Das Gericht hat die Maßstäbe nicht. Die Kirche muss den Richtern eben die entscheidenden Argumente an die Hand geben. Sie muss und wird jetzt Ideen entwickeln.
Was ist evangelisch an evangelischen Krankenhäusern und Kitas?
Dafür ist einerseits der kirchliche Auftrag entscheidend. Aber ihn müssen sie nicht nur nach außen deutlich machen, sondern auch in ihrem Haus alltäglich leben. Es muss in diesen Einrichtungen zum Beispiel Orte und Zeiten geben für religiöse Betätigung – und zwar während der Arbeitszeit, und nicht nur davor oder danach. Das würde sie abheben von anderen Sozialverbänden, die auch Gutes tun.
Die schriftliche Urteilsbegründung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 25. Oktober 2018 (8 AZR 501/14) wird im März 2019 erwartet.