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Wenn es nach dem Wortlaut der Lutherübersetzung geht, kommt bald das Kindleinfest. "Du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen", so verniedlicht der Predigttext für den ersten Advent das angekündigte Kind. Seit Christoph von Schmids Weihnachtslied "Ihr Kinderlein, kommet" von 1798 populär wurde, überschneiden sich das "Kindlein"-Motiv aus der biblischen Erzählung und die Vorstellung vom braven und behüteten Kind aus der bürgerlichen Pädagogik. Kinderlein kommen zahlreich. Hoffentlich kommen sie heil ins Leben und später auch gern zum Fest. Denn das ist nicht selbstverständlich.
Christiane Thiel
Viele Kinder leiden. Sie sind Fliehende. Sie verschwinden oder ertrinken auf der Flucht. Sie werden Opfer von Menschenhandel, Ausbeutung, Sklaverei und sexualisierter Gewalt. Auch in Deutschland sind Kinder gefährdet. Gewalt gegen Kinder kann es nebenan geben, in der Familie, auch in der Kirche. Nicht immer geht sie mit Schlägen einher. Manche Gewalt ist leise und unsichtbar und dabei nicht weniger grausam.
"Gott, ohnmächtig wie jedes Kind"
Das Evangelium nach Lukas ist ein Hoffnungsbuch. Mit dem Kindlein verheißt es allerdings nicht das Christkind, sondern den Propheten Johannes, das späte Kind der alten Elisabeth und des Priesters Zacharias. Der Junge wird sich als Erwachsener in die Tradition der jüdischen Märtyrer und Märtyrerinnen stellen. Er wird sein Leben lassen im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung – in der von Willkür gegen die Armen geprägten Herrschaftszeit des Römischen Reiches in Palästina. Johannes der Täufer stirbt als Märtyrer, noch bevor Jesus zum Kreuz geführt wird.
Doch zunächst ist Johannes ein Kindlein für Gott. Im zarten Bild zeigt sich ein auf Wärme, Nähe, Nahrung, Zuwendung und Aufmerksamkeit angewiesener Gott, ohnmächtig wie jedes Kind. Denn das ist das Wunder des Lebens: Gott mutet den hartherzig gewordenen Erwachsenen zu, mit Kindern beschenkt zu werden, die in ihrer Zartheit wie Lebensgaben und Hoffnungszeichen einer größeren Liebe erscheinen.
Elisabeth empfängt ein Kind, dessen Leben von Anfang an unter dem Zeichen des Martyriums steht. Mit Frömmigkeit und Liebe singt sein Vater Zacharias davon, wie er das Leben seines Kindes deutet: Unsere kriegerische Welt wird für Gottes Liebe durchscheinend; das Kind lässt Licht herein; die Zeit der Zeichen beginnt. – Zacharias Lobgesang ist auch der Predigttext für den ersten Advent (Lukas 1,67–79).
"Bereite ich Gott einen Weg?"
Welche Bedeutung hat das Lied des alten Mannes für mich und mein Kindleinfest 2018? Bereite ich Gott einen Weg? Ich hänge keinem naiven Bild unverdorbener Kindlichkeit nach. Sondern ich spüre die Verantwortung, die im Wunder der Kinder verborgen ist. Und mich erzürnt das Leid der Kinder. Ich habe Wut, dass der Anbau von billigem Kakao auch auf kindlichen Schultern lastet. Ich bin entsetzt, wie sich der Reichtum des Nordens vermehrt, auch auf Kosten von Kindern. Große Lebensmittelkonzerne diktieren nicht nur die Preise. Sie verdienen sich an billiger Kinderarbeit und selbst an Kindersklaven reich. Es ist ein Skandal, der unsere Schokolade billig und unser Leben luxuriös macht.
Ich will dieses Fest des göttlichen Kindleins nicht feiern, ohne dieser Kinderopfer zu gedenken, ihr Elend öffentlich zu machen und für ihre Grundrechte zu streiten. Die Liebe Gottes misst sich an der Liebe der Menschen zu den Kindern. Wir sind gefragt.
Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest.