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Drinlassen oder rausschaffen?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
23.11.2018

Der pfälzische Friedenspfarrer Detlev Besier hat vor einer Woche gefordert, Gedenktafeln für gefallene Soldaten aus evangelischen Kirchen zu entfernen. Ich kenne das Unbehagen, das einen regelmäßig befällt, wenn man in einer Kirche vor diesen manchmal sehr martialischen Ge-Denkmälern steht. Kriege werden da christlich gerechtfertigt, der Soldatentod wird zum Opfer verklärt. Aber wegtun?

In vielen Kirchen gab und gibt es solche Gedenktafeln. In der alten Bundesrepublik kam es seit den 60iger und 70iger Jahren darüber vielerorts zum Streit. Pastoren und Kirchenvorstände kämpften darum, diese Tafeln und damit die Reste eines militaristisch-nationalistischen Ungeistes zu verbannen. Das rief Widerstände hervor. In der ehemaligen DDR war es etwas anders. Hier wurde alles, was dem staatlich verordneten Gedenken nicht entsprach, an den Rand gedrängt. Wenn man also die Gedenktafeln in den Kirchen beließ, war dies keineswegs ein Zeichen für eine reaktionäre Gesinnung, sondern eher das stillschweigende Übergehen sozialistischer Gedenkvorschriften zugunsten der gefallenen Nachbarn, Freunde und Verwandten, die Opfer vorheriger Systeme geworden waren.

Ein neuer Blick auf die alten Tafeln

Ich war gewohnt, diese Gedenktafeln vor allem als Machtzeichen von Nationalismus und Militarismus zu deuten. Doch das im vergangenen Jahr erschienene Buch „Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne“ der Historikerin Svenja Goltermann hat mich neu ins Nachdenken gebracht. Es zeigt, dass man in den Gefallenen-Denkmälern auch frühe Versuche einer Humanisierung des Kriegs sehen kann. Wie das? Bis weit ins 19. Jahrhundert blieben die gefallenen Soldaten auf dem Schlachtfeld liegen. Ihr Tod wurde nicht registriert, ihre Familien wurden nicht benachrichtigt. Nur der Tod von Königen oder Generälen wurde öffentlich zur Kenntnis genommen. Das änderte sich, als man Anfang des 19. Jahrhunderts die Söldnertruppe durch das patriotische Volksheer ersetzte und die allgemeine Wehrpflicht einführte. Nun sollte das Volk den Krieg führen – das bedeutete, dass das Volk beteiligt werden musste. Jetzt hatte die Obrigkeit einem wichtigen Bedürfnis der Angehörigen Rechnung zu tragen: zu erfahren, wer von den Vätern und Söhnen wie und wo gestorben war, sowie die Gewissheit zu haben, dass an jeden namentlich erinnert wurde, zum Beispiel durch Gedenktafeln in Kirchen. So begannen die entstehenden Nationalstaaten mit ihren Bürokratien die gefallenen Soldaten zu zählen. Damit verband sich eine „Demokratisierung“ des Gedenkens: Auch der einfache Soldat wurde denkmalfähig.

Zunächst wurde nur an die gedacht, die von einem Feind getötet wurden. Die Mehrheit der Soldaten aber starb an Hunger, Unfällen und Epidemien. Das waren keine Helden, sondern Opfer. Und für Opfer interessierte man sich nicht, ihnen machte man eher Vorwürfe. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Umkehrung: Der Heldenbegriff trat zurück und der Opferbegriff erfuhr eine historisch einmalige Aufwertung und Pluralisierung. Jetzt sollten alle gestorbenen Soldaten berücksichtigt, aber auch der Opfer aus der Zivilbevölkerung gedacht werden,  mancherorts sogar der Opfer auf Seiten der Feinde sowie nach und nach auch die verfolgten Minderheiten. Wir sind damit noch an keinem Ende angekommen.

Die Kunst des kritischen Gedenkens

Vielerorts hat man – oft unter Mithilfe von Künstlern – kreative Formen gefunden, die alten Tafeln an ihren Orten zu belassen und zu kommentieren, zu kritisieren, zu erweitern. Das geht selten ohne Konflikte ab, vertieft und verwandelt aber die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Es ist eine Mühe, die sich lohnt.

Zum Vergleich: London

Wie wichtig diese heikle, gebrochene und selbstkritische Beschäftigung der Deutschen mit ihren Soldatendenkmälern ist, lehrt ein kurzer Vergleich. Im Herbst ging ich in London spazieren und stieß in der Nähe des Parlaments auf ein ganz neues Denkmal für den Afghanistan-Irak-Krieg . Auf seiner Vorderseite ist eine in zwei monumentale Steine eingefasste Medaille zu sehen (vgl. Foto). Darauf sind drei heldenmäßige Soldaten im Kampfeinsatz zu sehen. Noch schlimmer die Rückseite: edle Briten, die wilden Afghanen die Segnungen westlicher Zivilisation bringen – Nahrung, Bildung, Medizin, Frauenbefreiung. Eigentlich passt es ja: ein verlogenes Denkmal für einen verlogenen Krieg. Doch ich bin froh, dass so etwas in Deutschland nicht mehr produziert wird.

P.S.: In Köln ist es einer spektakulären Kunstaktion in diesem Herbst gelungen, den Dom in  einen Friedensleuchtturm auf Zeit zu machen. Ein gerade erschienenes Buch mit spektakulären Bildern und aufschlussreichen Texten dokumentiert dies. Ein Vorbild für andere Kirchen?

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur