Junge Frau im Kuhstall
Junge Frau im Kuhstall
Getty Images/The Palmer
Der große Gleichmacher
Wo früher auf faire Weise Vermögen vererbt wurde, ist heute der Anteil der Frauen in Parlamenten höher.
Tim Wegner
02.11.2018

chrismon: Was haben Sie untersucht?

Anselm Rink: Landwirtschaftliche Erbsitten in Deutschland, die historisch stark variiert haben, oft von Ort zu Ort.

Was sind Erbsitten?

Anselm Rink: Erbsitten regeln, wie vererbt wird. Bekam nur der Älteste den Hof des Vaters? Durften nur Söhne erben? Diese ­Sitten sind nicht zu verwechseln mit dem Erbrecht, das heutzutage beispielsweise einen Pflichtteil kennt.

Woher wussten Sie, welche Erbsitte früher wo galt?

Anselm Rink: Der Agrarwissenschaftler Helmut Röhm hat in den 50er Jahren die Bürgermeister von 24 500 Gemeinden befragt, wie dort früher vererbt wurde. Diese Daten haben wir auf heutige Gemeindegrenzen umgerechnet.

Anselm RinkDavid Ausserhofer

Anselm Rink

Anselm Rink ist Juniorprofessor 
für Politische ­Ökonomie an der Universität ­Konstanz und war zuvor wissen­schaftlicher ­Mitarbeiter am Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozialforschung.
Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Und wie konnten Sie Gleichheit messen?

Anselm Rink: Wir haben soziale Gleichheit untersucht, und zwar ­konkret den Frauenanteil in heutigen Kommunalparlamenten ­sowie die Anzahl von Adeligen in Rotary Clubs.

Mit welchem Ergebnis?

Anselm Rink: Gemeinden, in denen gerecht vererbt wurde – an mehrere Kinder, nicht nur Erstgeborene –, wählen heute mehr Frauen in Parlamente. Und dort finden sich auch weniger Rotary-Mitglieder mit "von" und "zu" im Nachnamen. Faire Erbsitten korrelieren also mit sozialer Gleichheit.

Erbsitten variierten von Ort zu Ort

Heute nimmt die Ungleichheit bei Vermögen zu. 
Können höhere Erbschaftssteuern den Trend stoppen?

Anselm Rink: Da wir uns historische Erbsitten angeschaut haben, ­können wir nichts über den Einfluss der heutigen Erbschaftssteuer aussagen. Unsere Studie lehrt aber, dass faire Erbsitten zwar soziale Ungleichheiten abmildern, nicht aber Einkommensungleichheit.

Wie bitte?

Anselm Rink: Ja, das scheint widersprüchlich. Unsere Daten zeigen, dass faire Erbsitten soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen Adeligen und Bürgerlichen ausgeglichen haben – mit positiven Auswirkungen bis heute. So gesehen sind faire Erbsitten ein Gleichmacher. Gleichzeitig stellen wir in fair vererbenden Gemeinden aber eine höhere Einkommensungleichheit fest.

Wie erklären Sie sich das?

Anselm Rink: Wenn Herkunft und Geschlecht nicht mehr systematisch benachteiligt werden, zählt wieder das Talent des Einzelnen. In einer Marktwirtschaft kann das Einkommens­ungleichheit nach sich ziehen.

Also sind Sie dagegen, die Erbschaftssteuern zu ­er­höhen?

Anselm Rink: Ob höhere Erbschaftssteuern den gleichen Effekt hätten wie früher faire Erbsitten, ist offen. Leider kann man das schwer erforschen, denn Erbschaftssteuern variieren – im Unterschied zu Erbsitten – nicht von Ort zu Ort.

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