Ist das noch sportlich oder ist es schon mutig?
Sportlich ist das neue mutig.
Tim Wegner
26.09.2018

In meinem Fitnessstudio wird für ein "180-Tage-Mutcamp" mit den Worten geworben: "Mut ist, wenn du deine Trainingsziele erreichst." Ach, das geht schon als Mut durch? Ich finde es mutig, wenn ­Menschen auf sehr hohe Berge klettern, im Mittelmeer Ertrinkende ins Schlauchboot hieven oder einen verhassten Job an den ­Nagel hängen. Mutig ist es auch, gar nicht ins Fitnessstudio zu gehen, 180 Tage im Sessel zu sitzen und nach 20 Uhr noch viele Kohlehydrate zu sich zu nehmen. Das zu tun, wofür so ein Studio erfunden wurde – das ist doch nicht mutig. Sondern bestenfalls sportlich.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".
Aber sportlich geht jetzt ganz anders. Wenn die Chefin sagt: Am 31. Oktober muss das Heft am Kiosk sein, sagt immer einer in der Runde: "Das ist aber ­sportlich." Wenn der Kollege ankündigt, er habe jetzt einen "recht sportlichen Vorschlag", meint er nicht die Rückenschule oder den Lauftreff. Sondern einen Abgabetermin, der einen das Fürchten lehren kann. "Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte" – das ist laut Duden die Definition von Mut. Also müsste es korrekt heißen: Kollegen, lasst uns mutig sein. Wir schaffen das!

Sportlich, das war ja mal was mit Bewegung. "Voller Spannkraft", steht im Duden. Natürlich braucht eine Redaktion mehr als den Duden, wenn sie sprachlich auf der Höhe sein will. Sie braucht sprachkundige Kollegen. Gute Magazine haben eine Dokumentation, wir sind dankbar, dass wir uns das im Gegensatz zu vielen Tageszeitungen noch leisten bei chrismon. Dokumentare überprüfen Quellen, Korrektoren fahnden nach Kommafehlern und falschen Superlativen. Sie sind mutig ­genug, der Chefredakteurin epidemische ­Ausrufezeichen und Gedankenstriche zu killen. Und nehmen es sportlich, wenn aufmerksame Leser trotz aller Sorgfalt doch noch Fehler finden.
 

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