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Diesmal war es schwer, echt schwer für mich, diese Notizen zu Papier zu bringen. Ich war so fertig. Ich hatte keine Lust. Alles ödete mich an. Der lange Winter mit den kurzen Tagen scheint kein Ende zu nehmen. Die Kollegen in der Redaktion haben die Teeküche nicht aufgeräumt. Mein Sohn hat ein Diktat verhauen. Und die Käsefrau auf dem Wochenmarkt hat vergessen, meinen Lieblingskäse zu besorgen. Das sind die Tage, an denen ich mich ärgere, dass ich mein Lieblingscouplet des Wiener Schauspielers Kurt Sowinetz nicht mehr spielen kann, weil ich vor Jahren die Schallplatte jemandem geliehen habe und nicht mehr weiß, wem.
"Alle Menschen samma zwider, i mechts in die Goschn haun"
Sowinetz singt zur Melodie von Beethovens "Ode an die Freude" nicht Schillers euphorischen Text. Er grantelt und raunzt ins Mikrophon statt "Freude, schöner Götterfunken": "Alle Menschen samma zwider, i mechts in die Goschn haun. Mir san alle Menschen zwider, in die Goschn mecht ichs haun. Voda, Muada, Schwester, Bruada und de ganze Paklraß alle Menschen samma zwider, wann i Leit sich geh i haaß." Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich Ihnen das noch übersetze!
Und nun ist Februar. Und im Februar ist Karneval. Und der Frohsinn regiert. Und die Leute singen so entsetzliche Sachen wie "Uns geht es gut, wir denken nicht an morgen. Uns geht es gut, wir haben keine Sorgen". Furchtbar.
Nach diesem Geständnis können sie wahrscheinlich verstehen, wie erleichtert ich war, als ich im Magazin "Der Spiegel" auf ein Interview mit der US-Psychiaterin Kay Jamison stieß, die ein neues Krankheitsbild aufgespürt hat: Enthusiasmus. Daran Erkrankte sind Menschen mit "chronisch guter Laune", Leute, die auffällig überschwenglich sind nicht periodisch, wie jene, die unter Manie leiden, sondern stets und immer.
Acht bis zehn Prozent der Bevölkerung, hat Frau Jamison erforscht, sind stark enthusiastisch. Und die Leute wissen gar nicht, dass sie eigentlich krank sind. Als Beispiele nennt die Psychiaterin die amerikanischen Präsidenten Bill Clinton und Theodore Roosevelt. Von Roosevelt, der vor rund 100 Jahren regierte, erzählt sie: "Als am Valentinstag 1884 (im Februar also!) gleichzeitig seine Frau und seine Mutter starben, stürzte er sich umso fieberhafter in die Aktivität, schrieb unzählige Bücher, ging jagen und gründete eine Rinderfarm. Grübelei, Zweifel und Trauer scheint es in seinem Leben nicht gegeben zu haben."
"Je langweiliger und zurückhaltender ein Mensch auftritt, desto intelligenter und subtiler ist er."
Und dann beschreibt sie die schlimmen Folgen für die Umgebung, an denen gemessen Passivrauchen geradezu harmlos erscheint: Die ständige Begeisterung belastet, geht den Mitmenschen auf die Nerven, ja, sorgt für Minderwertigkeitskomplexe. Und dabei hätten es die Enthusiasten selbst schwer. Sie würden irgendwann nicht mehr ernst genommen, denn viele Leute würden denken: "Je langweiliger und zurückhaltender ein Mensch auftritt, desto intelligenter und subtiler ist er." Ich war so froh und dankbar, als ich das las.
Außerdem hat es mich angeregt, meine lange brachliegenden Forschungen als Hobby-Psychologe wieder aufzunehmen. Dass Muffelköppe krank sind, weiß man schon lange. Und die Menschen mit Stimmungsschwankungen sind allesamt bipolar gestört. Und jetzt also auch die Gutgelaunten nur krank, eben Enthusiasten. Und was ist mit denen, die immer im Lot sind, rücksichtsvoll, zuvorkommend? Kann denn das gesund sein? "Du bist so ausgeglichen. Irgendwas stimmt nicht mit dir. An deiner Stelle würde ich mir ernsthaft Sorgen machen. Verdrängst du deine negativen Gefühle und verbietest dir, deine Euphorie auszuleben?" Mit diesen Fragen werde ich mein neues Buch beginnen. Ein Titel schwebt mir auch schon vor: "Balancismus die unentdeckte Volkskrankheit".