Enrico Schilling, CDU, der Bürgermeister von Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt, auf dem dort statt findenden Melt Festival. Das Gelände war fürher ein Tagebau.
Enrico Schilling, CDU, der Bürgermeister von Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt, auf dem dort statt findenden Melt Festival. Das Gelände war fürher ein Tagebau.
Jonas Ludwig Walter
Utopia auf der Industrieruine
Beim Melt! auf Ferropolis gibt’s drei Tage Peace, Love und Indierock. Festivals bringen Schwung in die Region – auch der Bürgermeister mischt sich unters Publikum
Tim Wegner
26.04.2018

Am schönsten ist es oben auf dem Gemini-Bagger, von dort hat man den Überblick. Auf die Lichter, die Bands, die gesamte Industriekulisse. "Die ­Illumination der Tagebaugroßgeräte hat natürlich Flair", sagt Enrico Schilling, 39, nicht ohne Stolz, er ist der Bürger­meister von Gräfenaeinichen in Sachsen-Anhalt.

Ferropolis, Stadt aus Eisen, so heißt diese Halbinsel im ehe­maligen Braunkohletagebau Golpa-Nord. Hier finden sommers in nur einem Monat drei Festivals statt, je 20 000 Leute. Melt! steht für Indierock und Elektrobeats, mit der Dämmerung starten die Konzerte. Enrico Schilling ist vor allem dienstlich hier, er redet mit den Veranstaltern, mit der Polizei oder dem Roten Kreuz, "und natürlich klopfe ich auch den Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr auf die Schulter", sagt er. Sie kommen aus allen Ortsteilen der Stadt, in jeder Schicht elf Feuerwehrleute, die das Festival absichern.

Dreitagebart, Koteletten, Sonnenbrille, privat mag Schilling gern die Musik von Elvis Presley, in seiner Band ist er der Sänger. Auf seinem schwarzen Shirt steht "Sleepless in Ferropolis", schlaflos – das sind die meisten hier und gut gelaunt wie der Bürgermeister auch. Nach der Arbeit schlendert er noch übers Festivalgelände, "ein bisschen Stimmung aufsaugen".

Melt! steht für Indierock und Elektrobeats. Mit der Dämmerung starten die Konzerte

Die vielen Besucher bringen Kaufkraft und Schwung in die Region, Hotels und Gaststätten, Tankstellen und Supermärkte profitieren vom Festivalbetrieb. Ferropolis ist bekannt – auch ­außerhalb Deutschlands. Im vergangenen Jahr gabelte Schilling vier Iren auf, die am falschen Bahnhof ausgestiegen waren. Zu viel Alkohol. "Ich habe sie zum Festival gefahren, sie haben in meinem Auto die irische Flagge gehisst – so haben ihre Freunde sie gleich erkannt, als wir dort ankamen." Sie sagten noch, die Gegend sei ­paradiesisch, und ja, das bekräftigt der Bürgermeister gern: "Der Weg in die Heide immer lohnt, auch wenn man etwas weiter wohnt." Den Tourismus anzukurbeln ist natürlich ein Traum von Schilling. Wenn doch nur der See erst aus dem Bergrecht entlassen wäre! Vielleicht könnte man ja älter werdende Festivalgäste mit Wellness locken, für ihn selbst – 2004 ist er der jüngste Bürger­meister des Bundeslandes gewesen – sei das ja auch nichts mehr: im Zelt auf der grünen Wiese.

Auf Festivals sind alle gleich

Aber erst mal geht’s hier um die Jugend, für sie sind es drei Tage wie im Rausch. Chillen auf den Zeltplätzen, tanzen in der Menge, baden am Schilfufer – auf Festivals sind sie alle gleich, un­geschminkt, Teil einer großen Gemeinschaft. Doch nach drei Tagen ist es genug mit Peace, Love, Happiness, viele reisen ab, ohne ihre Zelte, Schlafsäcke oder Campinghocker mitzunehmen. "Das ärgert mich dann schon", sagt der Bürgermeister. Vor einem Jahr baute er kurzerhand drei zurückgelassene Pavillions ab – ­
die Kinder­gärten der Stadt konnten sie gut gebrauchen. ­

Enrico Schilling eingerahmt von Partyfans
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