Ich bin ein Ziegenhainer!
Warum Martin Bucer die Konfirmation erfunden hat
Lena Uphoff
25.10.2017

Jetzt ist doch gut! 500 Jahre ­Reformation, Luthertag am 31. Oktober – durchatmen, und ­weiter geht’s. Ja, es geht weiter! Denn das, was man heute „evangelisch“ nennt, ist ein Projekt ohne Ende. Auch nach der Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers hat sich im 16. Jahrhundert eine lange Reihe kluger Köpfe und freier ­Geister mit ihrer Weiterentwicklung beschäftigt. Einer der wichtigsten war der Elsässer Martin Bucer. Und seinetwegen müsste der nächste Feiertag eigentlich der 26. April sein. An diesem Tag im Jahr 1518 begegnete der Theologiestudent dem ­großen Luther bei der Heidelberger Disputation. In diesem Streit, den Luthers Orden, die Augustiner-­Eremiten, organisiert hatten, konnte der Wittenberger Gelehrte zwar seine Professorenkollegen nicht über­zeugen. Die Jungen, unter ihnen Bucer, waren aber begeistert von ­seinem Denken und schlossen sich ihm an.

Schon mit 15 Jahren war Bucer dem Orden der Dominikaner beigetreten. Ähnlich wie bei Luther war es wohl der Versuch eines hochbegabten Kerls, der Familie zu entkommen. Vater und Großvater wirkten als Küfer. Fässer basteln wollte dieser Martin offenbar so wenig wie sein Namensvetter Bergwerksbetriebe organisieren. Und wie Luther heiratete auch Bucer eine ehemalige Nonne. Vom Speyerer Bischof exkommuniziert und gebannt, floh er  nach  Straßburg, organisierte dort als Pfarrer die evangelische Kirche.

Martin Bucer als Diplomat und Vermittler

Was ihn für mich zu einer der bedeutendsten Figuren der Reforma­tion und zu einem leider viel zu wenig wahrgenommenen Großen macht, ist seine unglaubliche Fähigkeit zu Kompromiss und Brückenbau. So versuchte Bucer 1529 beim Marburger Religionsgespräch, zwischen Luther und dem Züricher Reformator Ulrich Zwingli im Abendmahlsstreit zu vermitteln, was leider nicht gelang. Luther bestand auf der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Zwingli und seine Freunde sahen in der feierlichen Handlung ein Erinnerungsmahl. Bucer, der in dem Zoff einen „Streit mehr in Worten als in der Sache“ sah, gab nicht auf. Und er fand in Marburg einen mächtigen Partner: Landgraf Philipp von Hessen, der die sich entwickelnde Trennung zwischen den  reformatorischen Gruppen beenden wollte.

Neben dem Abendmahl wurde ­die Taufe zum Anlass für tiefgreifende Differenzen. Die sogenannten „Täufer“ waren der Meinung, dass nur getauft werden könne, wer sich bewusst für seinen Glauben entschieden habe, also  Erwachsene. Die Reforma­toren, Zwingli wie  Luther, wollten an der Säuglingstaufe festhalten. „Bucer, übernehmen Sie!“, bat der Landgraf. Und im nordhessischen Städtchen Ziegenhain präsentierte der geniale Theo-Diplomat 1539 eine Idee, die in den evangelischen Kirchen weltweit Karriere machte. Der ursprüngliche Titel von Bucers Vorschlag geriet in Vergessenheit: „Ziegenhainer Zuchtordnung“. Oder kennt jemand junge Christen, die sagen: „Ich bin seit vergangenem Sonntag ein gezüchteter Ziegenhainer“? Nein, es heißt: „Ich bin konfirmiert.“

Bucers Kompromiss: Wir taufen weiterhin kleine Kinder. Aber kurz vor dem Erwachsensein durchlaufen Jungen und Mädchen einen Unterricht, der sie am Ende vor der Ge­meinde bekennen läßt: Ich bin Christ, und ich weiß, was das bedeutet. Die „Konfirmation“. Damit waren Bucers Versuche ­einer Ökumene, auch mit Katholiken,  längst nicht am Ende. Bis zu seinem Tode 1551 in Cambridge kämpfte er für die Idee der christlichen Gemeinschaft freier und gleicher Menschen. So plädiere ich nach der Luther-­Dekade dringend für ein riesiges Bucer-Festival mit den Zentren Straßburg, Marburg und an erster Stelle Ziegenhain. Es lebe Martin II.!

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Arnd Brummer schreibt in seiner Kolumne: "Luther bestand auf der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi." Das trifft nicht zu. In seiner Schrift "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche"
von 1520 lehnte Luther eine solche Lehre vielmehr ausdrücklich ab, da sie nur "ein erdichtetes Menschengebilde" und weder schriftgemäß noch vernünftig sei (WA 6, S. 509).