chrismon: Sie sagen, dass sich Frauen seit der Reformation scheiden lassen können. Stimmt das?
Iris Fleßenkämper: Im Mittelalter konnten Frauen nur eine Trennung auf Zeit einfordern. Erst die Reformatoren machten die Scheidung zulässig, weil sie die Ehe zu einer weltlichen Angelegenheit erklärten. Die neuen Kirchenordnungen führten zum Beispiel Ehebruch und häusliche Gewalt als legitime Scheidungsgründe an.
Mussten die Frauen damit vor ein Kirchengericht?
In protestantischen Territorien hätten eigentlich weltliche Gerichte verhandeln müssen. In der Realität entschied aber meist eine Art geistlich-weltliche Mischbehörde unter Vorsitz des Landesherrn. So konnte ein Gericht einem prügelnden Mann auferlegen, sich zu bessern. Und die örtlichen Presbyterien kontrollierten, ob er es auch tat.
Und was passierte mit den Frauen?
Eine Scheidung hatte oft wirtschaftliche Not zur Folge, und geschiedene Frauen waren gezwungen, bald wieder zu heiraten. Zu Scheidungen kam es daher nur, wenn der Mann die Frau „böslich“ verlassen hatte, wie es hieß. Die Richter hielten meist am Ideal der unverbrüchlichen Ehe fest, und so blieb die Trennung auf Zeit weiterhin die Regel. Trotzdem halfen die neuen Verfahren, die Ehre der Frauen wiederherzustellen.
Sehen Sie in den Reformatoren Kämpfer für Frauenrechte?
Das sicher nicht. Einige Historiker sagen sogar, die Reformation habe viel mehr Unterordnung zur Folge gehabt, weil Luther nach Paulus betont hat, die Frau solle des Mannes Untertan sein. In Sachen Scheidung hatten Frauen aber nun mehr Handlungsspielraum.