Trennung muss sein, zum Schutz der Privatsphäre. Auf dem Berliner Messegelände wurde eine Notunterkunft für 1000 Flüchtlinge eingerichtet.
Foto: Jens Gyarmaty/VISUM
"Friedlich und kooperativ“
Es gibt Gewalt in den Unterkünften der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung – gegen Christen richtet sie sich aber nicht
Tim Wegner
15.03.2016

chrismon: Wissen Sie, welcher Religion Flüchtlinge angehören?

Ralf Stettner: Wir fragen sie. 84 Prozent sind Muslime, acht Prozent sind Christen.

Bringen Sie die Christen extra unter?

Wir könnten das tun, aber wir leben hier in einer pluralen Gesellschaft. Die Flüchtlinge müssen lernen und akzeptieren, dass wir Religionsfreiheit haben.

Es gibt Medienberichte, wonach christliche Flüchtlinge in Massenunterkünften oft Probleme mit Muslimen haben.

Hier nicht. Ohne zu zögern, würde ich einen Flur mit nur drei christlichen Familien belegen, die Probleme haben – auch wenn der Rest des Flures leerstünde. Aber diesen Fall hat es noch nicht gegeben.

Allein das Land Hessen hat im vergangenen Jahr fast 80 000 Asylsuchende aufgenommen und untergebracht. Und es gab bei Ihnen keine religiös bedingten Konflikte?

Ich bin seit 10. August bei der HEAE und seit Oktober kommissarischer Leiter. Ich führe keine Statistik. Aber wir haben jeden Morgen eine Lagebesprechung mit Berichten von Polizei und Sicherheitsdiensten. Mir ist kein Fall von Christenunterdrückung in unseren Einrichtungen bekannt. Ich hatte weniger als fünf Vorfälle auf dem Tisch, in denen es um Benachteiligungen von Christen durch Muslime ging. Ein tätlicher Angriff war nicht darunter. Und wir haben jede einzelne Beschwerde extrem genau überprüft. 

Haben Sie ein Beispiel?

Ein christlicher Flüchtling berichtete uns, er habe gehört, dass IS-Leute in den Einrichtungen angeworben und dass Christen konkret bedroht würden. Ich habe extra Polizisten auf diese Geschichte angesetzt. Es war ein Gerücht.

"Wir sind nicht naiv"

Übersehen Sie da nichts?

Ich hoffe nicht. Als Katholik will ich nicht, dass Christen, die vor Terror geflohen sind, bei uns wieder unterdrückt werden. Deshalb haben wir von Anfang an einen engen Kontakt zum Zentralrat Orientalischer Christen und zu einigen aramäischen Christen aufgebaut – auch um zu erfahren, falls es an einem unserer Standorte Konflikte geben sollte. Ich habe dafür gesorgt, dass einige der Dolmetscher Christen sind, damit christliche Flüchtlinge auch Ansprechpartner haben. Wenn es hier schwere Vorkommnisse gäbe, würde ich das sagen. Wichtig ist aber auch die Unterscheidung zwischen Land und Kommune.

Inwiefern?

Wir sind als Landeseinrichtung die erste Anlaufstelle, wir registrieren die Flüchtlinge und untersuchen sie medizinisch. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Verfahren eröffnet hat, kommen die Menschen in die sogenannten Zweitaufnahme-Einrichtungen in die Kommunen. Bis dahin sind sie im Schnitt zwei Monate bei uns. Wie es dann in den kommunalen Einrichtungen ist, kann ich nicht sagen, ich kann nur für uns sprechen. Wir sind nicht naiv und rechnen damit, dass es Probleme geben kann. Deshalb bieten wir in unseren Einrichtungen schon Informationsveranstaltungen zur Wertevermittlung und Erstorientierung an, damit Schwierigkeiten später in den Kommunen möglichst gar nicht erst aufkommen.

Was bedeutet das?

Ein pensionierter Verwaltungsbeamter reist, begleitet von Dolmetschern, durch unsere Standorte. Er referiert über das Grundgesetz, die Demokratie, die Frauenrechte und auch über Religionsfreiheit. Bei seiner ersten Veranstaltung kamen sieben Flüchtlinge, da waren wir schon enttäuscht. Mittlerweile kommen durchschnittlich 150 Zuhörer zu den Vorträgen – freiwillig. In Zusammenarbeit mit dem Innenministerium klären wir zudem Flüchtlinge und Mitarbeiter der Einrichtungen über die Gefahren von möglichen Anwerbeversuchen durch Salafisten auf. Eine wichtige Rolle spielt dabei die direkte Ansprache der Schutzsuchenden in ihrer Muttersprache durch die Polizei. Die Beamtinnen und Beamten mit Migrationshintergrund haben einen besonderen Zugang  zu den Flüchtlingen und fördern bei ihnen auch unser Verständnis von der Polizei als „Freund und Helfer“. Oft sind die Menschen ja aus Ländern geflohen, in denen sie Angst vor der Polizei haben mussten.

Es klingt ja so, als gäbe es keine Probleme!

Es gibt Auseinandersetzungen, leider ab und an auch Schlägereien, meistens Prügeleien unter Männern. Aber die Gewalt nimmt ab, weil wir aus jeder Erfahrung unsere Lehren ziehen und die Strukturen verbessern. Wir hatten phasenweise 27 000 Menschen unterzubringen. Da gibt es leider immer auch Personen, die sich danebenbenehmen. Aus meiner Erfahrung hier an der Basis kann ich sagen: Der übergroße Teil der Flüchtlinge ist rechtschaffen, friedlich und kooperativ.

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