Professor Dr. Christoph Markschies
Christoph Markschies ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin
Thomas Meyer/Ostkreuz
Verfolgt, unterdrückt, bedroht
Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
18.12.2015
Letzter Sonntag nach Epiphanias
. . . Wir haben einen Schatz in irdenen Gefäßen, damit offenbar wird, dass die überschwängliche Kraft von Gott kommt und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht . . . Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen . . . Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserm Leib, damit das Leben Jesu an unserm sterblichen Leib offenbar wird.
2. Korintherbrief 4,7–10

Wenn ich biblische Texte lese, versuche ich, mich selbst irgendwie in die Geschichten einzulesen. Nach Figuren Ausschau zu halten, mit denen ich mich identifizieren kann. Oder wenigstens Empfindungen zu identifizieren, die ich aus eigenem Erleben kenne. Auf der ersten Seite der ersten griechischen Bibel, die ich als Schüler nutzte, stand der Satz eines schwäbischen Barocktheologen zu lesen: „Bezieh’ dich ganz auf den Text, und den Textinhalt bezieh’ ganz auf dich.“

Manchmal allerdings, so weiß ich inzwischen, kann man sich nahezu alles verstellen, wenn man so mit biblischen Texten umgeht. Man sieht dann in den Texten immer nur sich selbst und vergisst die anderen Menschen um sich herum, auf die einen der Text hinweisen will.

Insbesondere in der evangelischen ­Kirche werden Texte des Apostels Paulus gern so gelesen, als ob sie unser aller christliches Leben und Erleben beschreiben. Schließlich sind wir ja alle gerecht­fertigt aus Gnaden allein. Dabei gibt es Texte in den Briefen, die können die meisten Menschen in unseren Gemeinden beim allerbes­ten Willen nicht auf sich selbst beziehen: „Wir leiden Verfolgung“ oder „Wir werden unterdrückt“ – angesichts der Christenmenschen, die aus Syrien oder dem Irak zu uns kommen, können das die allerwenigsten Menschen hierzulande mit gutem Grund sagen.

Natürlich gibt es schreckliche Fälle von Mobbing am Arbeitsplatz, entsetzliche Unterdrückung von Frauen in Familien und Beziehungen. Selbstverständlich macht es auch wenig Sinn, Kummer und Leid auf einer Skala der Intensität nach zu ordnen. Mich jedenfalls weisen die Sätze des Paulus über Bedrängung, Verfolgung, Unterdrückung und tödliche Bedrohung zunächst einmal auf die vielen Menschen, die jetzt zu uns kommen und das wirklich alles am eigenen Leibe erlebt haben, was er beschreibt.

Einstweilen nehme ich seine Worte als Ansporn

Paulus berichtet nun aber nicht nur über Bedrängung, Verfolgung, Unterdrückung und tödliche Bedrohung. Er gibt vielmehr seine Erfahrung weiter, dass sich inmitten solcher schrecklichen Erlebnisse Trost findet und dem Leid dadurch eine Grenze gesetzt wird. Zunächst beschreibt er diese Grenze: Obwohl er sich von allen Seiten bedrängt fühlt, ängstigt er sich nicht. Ihm ist bange, aber er verzagt nicht. Er leidet Verfolgung, aber wird nicht verlassen. Er ist unterdrückt, kommt aber nicht um.

Ich frage mich unwillkürlich, wie man in einer so schwierigen Lage Trost finden und das Leid begrenzen kann. Paulus gibt eine sehr persönliche Antwort: Er em­pfindet sein Leiden als radikale Konsequenz seiner Nachfolge Christi und deutet daher sein eigenes Leiden als Nach­ahmung des Todesleidens Jesu Christi. Wer Chris­tus ­nachfolgt, kann ihm gleichgestaltet werden bis zur Neige. Aufgrund dieser besonderen Nähe zum Lebensschicksal Jesu hofft Paulus aber auch, dass dessen Auferstehung von den Toten einmal an seinem beschädigten Leben offenbar werden wird. Und dieser Gedanke scheint Kummer und Leid eine so starke Grenze zu setzen, dass Paulus Trost in seinem Glauben finden kann.

Im Augenblick ist das, was der Apostel beschreibt, sehr weit von meinem eigenen Erleben entfernt. Aber ich ahne, dass ich mit diesen Worten des Paulus tatsächlich einen Schatz in einem irdenen Gefäß ­habe, nämlich in den zerfledderten Seiten meiner ­abgelesenen Bibel, die ich zum ­privaten Lesen nutze. Und hoffe, dass mich diese kostbaren Gedanken auch einmal trösten werden, wenn ich in Verzweiflung über Leid unterzugehen drohe. Einst­weilen nehme ich seine Worte als Ansporn, denen, die wirklich in so schlimmen Situa­tionen stehen, wenn möglich mit meinen bescheidenen Mitteln dabei zu helfen, dass ihr Leid eine Grenze hat und sie Trost ­finden können.

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