Quäker bei der Jahreshauptversammlung in Bad Pyrmont
Auf ihren Jahresversammlungen schweigen die Quäker nicht nur. Sie haben auch viel zu ­besprechen, wie hier im Andachtsraum des ­Quäkerhauses in Bad Pyrmont
Christian Protte
Die stillen Freunde
Die Quäker: Nach dem Ersten Weltkrieg organisierten sie Armenspeisungen, später retteten sie jüdische Kinder. Heute vermitteln sie zwischen Kriegsparteien in aller Welt. Sie nennen sich „Freunde“, und sie schweigen in ihren Andachten. Zu den 260 Quäkern in Deutschland kommen noch mal so viele „Freunde der Freunde“ und Jungquäker. Im Oktober trafen sie sich in Bad Pyrmont zu ihrer Jahresversammlung. Hier erzählen fünf von ihnen, was ihnen wichtig ist
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
Privat
25.11.2015

Esther Köhring, 33

Esther Köhring
Ich kam mit zwölf Jahren zu den Quäkern. Die Mutter einer Kindergartenfreundin meines kleinen Bruders lud mich zur Osterfreizeit der Jungquäker für Zwölf- bis 20-Jährige ein.

Wir fingen mit dem Abendessen an. Beim Spülen sagte jemand: Wir treffen uns um acht oben. Dann saßen wir im Sofa­kreis, und alle schwiegen, eine Stunde lang. Ich war furchtbar irritiert: Was machen die? Beten? Ich habe erst versucht, mich ans Vaterunser zu erinnern. Aber an den nächsten Abenden habe ich die Stille zu schätzen gelernt. Nach drei Tagen nahm ich meinen Mut zusammen und fragte: „Was machen wir da eigentlich?“ Dann erzählte jeder reihum, was er oder sie während der Stillen Andacht macht: „Ich denke über den Tag nach.“ Oder: „Ich versuche, an nichts zu denken.“ – Es gibt keine Regel, lernte ich. Ich kann alles ausprobieren.

Serie: Friedenskirchen

  • Sind Mennoniten, Quäker und Brethren für andere Kirchen Vorbilder?
  • Bleiben sie pazifistisch, wenn es hart auf hart kommt?
  • Und was bringt ihr Engagement wirklich für den Frieden?
Alle Folgen unserer Friedenskirchen-Serie finden Sie hier.

 



Niemand hat bestimmt, wann wir morgens gemeinsam frühstücken oder was wir am nächsten Tag unternehmen. Es wurde auch nicht abgestimmt. Wir schwiegen, jemand hat etwas gesagt, dann noch jemand. Bis wir wussten, was uns ­allen wichtig ist, und die Lösung irgendwie von selbst klar ­wurde. Gerieten zwei Leute in ein Wortgefecht, schlugen die Älteren vor: „Lasst uns erst still sein und warten, bis jemand anderes noch was sagen möchte.“

So laufen bei den Quäkern auch Geschäfts­andachten. Jeder sollte sich nur einmal äußern. Ein Schreiber hat im Blick, wer noch etwas sagen möchte. Man versucht, in der Gemeinschaft die Richtung zu finden, in die man gehen möchte oder zu gehen aufgefordert ist, denn das Ergebnis entsteht unter der Führung von etwas Größerem. Das funktioniert, obwohl nicht alle dieses Größere Gott nennen. Aus den Beiträgen hört der Schreiber den „Sense of the meeting“ heraus, also die Richtung, die sich ergeben hat. Er fasst sie in einem Beschluss zusammen, liest ihn vor, und die Versammlung reagiert darauf. Zum Beispiel so: „Dieser letzte Satz gibt nicht wieder, wo wir schon waren.“ Wenn der Beschluss gut ist, gilt das Schweigen als Zustimmung.

Roswitha Jarman, 80

Roswitha Jarman
Ich komme ursprünglich aus der Herrnhuter Gemeine. Mein Mann ist Engländer, und wir sind 1960 Quäker geworden. Ich fühle mich auch der deutschen Jahresversammlung der Quäker verbunden. Für mich ist das Quäkerleben ein spiritueller Weg, der Menschen aller Religionen einschließt. Ich habe mich mehrere Jahre mit dem Islam in Abendstunden beschäftigt. Mein Mann ist buddhistischer Quäker. Man sagt: Gott. Aber was ist das eigentlich, das mehr ist als das menschliche Leben? Der jüdische Philosoph Martin Buber hat gesagt: Wo sich zwei Menschen mit großer Offenheit begegnen, und wo etwas zündet, so dass sie erkennen, dass sie ein „Wir“ sind – da ist Gott.

Anfang der 1990er Jahre schickten die englischen Quäker meinen Mann und mich nach Moskau. Dort unterstützten wir Gruppen, die die zivile Gesellschaft aufbauen wollten. Wir unterstützten Kriegsdienstverweigerer und Menschen, die Wege suchen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Einmal wurden wir zu einer Konferenz nach Sankt Petersburg eingeladen. Dort kamen Lehrer aus allen Gebieten der damals aufgelösten Sowjetunion zusammen, aus der Ukraine, vom Baikal­see, vom Nordkaukasus. Wir sprachen mit ihnen über Selbsterkenntnis. In der Sowjetunion waren die Menschen eingeordnet gewesen, wo sie zu wohnen und zu arbeiten hatten. Wir fragten sie: Wer bist du, und was kannst du? Selbst gebildete Menschen wussten darauf oft keine Antwort.

Es ging oft um Selbstbejahung. Die Psychologen in der Sowjetzeit füllten Formulare über ein Kind aus und sagten: „Wenn du das Formular siehst, weißt du genau, was für ein junger Mensch da vor dir ist.“ Wir wollten zu erkennen geben: Findet im Gespräch heraus, was der junge Mensch selbst sagt. Ich leitete Seminare für Psychologen an vielen Orten in der ehemaligen Sowjetunion.

Der Autor

###drp|Z_qABWQVrO43tVkCuNVMVqRS00046693|i-38||###Burkhard Weitz, Jahrgang 1965, hat Anfang der 90er Jahre in Philadelphia eine Quäkerandacht besucht und war damals sehr beeindruckt.

In Ossetien und Inguschetien brach 1992 ein Kurzkrieg aus. Stalin hatte 1943 die Inguschen und Tschetschenen deportiert, er warf ihnen vor, im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaboriert zu haben. 1957 durften sie zurückkehren. Da war ihr Land aber an andere vergeben. Als der Deckel der Sowjetunion weg war, wollten vor allem die Inguschen ihr Land wiederhaben. Die Osseten sagten mir: „Wenn du wüsstest, wie furchtbar die Inguschen sind, würdest du verstehen, warum wir in ihnen Feinde sehen.“ Dagegen kann man nicht argumentieren. Also bin ich durchs Niemandsland ­gewandert und war auf beiden Seiten aktiv in Schulen und mit Psychologen. Wir haben acht Lehrer von den Inguschen und acht von den Osseten zusammengeführt. Durch gutes Zureden waren sie bereit. Sie entdeckten, dass sie sich verstehen und wollten, dass die Schulen kooperieren.

Das Projekt endete später, als 2004 in der Stadt Beslan mehr als tausend Jugendliche und Lehrer in einer Schule als Geiseln genommen wurden. Da waren wir schon nicht mehr in Russland. Ich rief eine Direktorin an, die mich zweimal im Jahr an ihre Schule in Wladikawkas eingeladen und oft die Workshops mitgemacht hatte. Ich sagte ihr, wie traurig ich das fand. Da sagte sie: „Ich gehe jetzt in die Flüchtlingslager zu den Tschetschenen und mache die Workshops, die du mit uns gemacht hast.“ Als ich sie kennengelernt hatte, waren Inguschen und Tschetschenen noch ihre Feinde. Da hatte sich also etwas verändert.

Christopher Hatton, 45

Christopher Hatton
Sind wir Christen bereit, für unsere Vision von Gewaltfreiheit auch unser Leben zu riskieren? Ich wurde 2009 in London als „Christian Peacemaker“ ausge­bildet. Von Leuten, die im Irak, in Israel-Palästina oder Kolumbien im Einsatz waren. Wir lernten etwas über Formen von Unterdrückung und über Befreiungstheologie, und wir spielten Konflikte durch und übten, bis die Rollenmuster funktionierten.

Partner vor Ort, die gewaltfrei agieren, laden uns ein. In Palästina nahe Hebron an der Waffenstillstandslinie helfen wir Bauern, dass sie nicht angegriffen oder gar vertrieben werden. Das israelische Militär nutzt ihre Felder als Truppenübungsplatz. Radikale zionistische Siedler fällen ihre Bäume und schneiden sie von Strom und Wasser ab. Wir helfen, das Land zu bewirtschaften. Liegt es drei Jahre brach, gilt es als herrenlos und fällt an den Staat Israel. Zuletzt war ich Ende 2013, Anfang 2014 dort. Dafür nehme ich vier Wochen Urlaub.

Wir sind mit den Unterdrückten solidarisch, aber wir lösen keinen Konflikt. Wir geben verfeindeten Gruppen Raum, dass sie ihre Angst überwinden können. Manchmal gelingt das. Einmal sprach ich mit einem Siedler auf Deutsch. Er stritt in gebrochenem Hebräisch mit einem palästinensischen Bauern um Land. Während ich übersetzte, bemerkte er, dass er ein Feld zu weit gelangt war und nahm seinen Zaun zurück. Er wurde später aus der zionistischen Siedlung geworfen, weil er nicht hart genug war. Aber als wir, ein Jude, ein Muslim und ein Christ, uns unterhielten, habe ich den Geist Gottes gespürt, ein unglaubliches Gefühl. Ich bin ein Quaking Quaker, ein bebender Quäker. Ich zittere, wenn ich den Heiligen Geist spüre.

Vorm Einsatz prüfe ich mit Freunden und Freundinnen meine Motivation. Quäker unterscheiden: Hat Gott mich wirklich be­rufen? Folge ich meinem Ego, bin ich kein Friedensstifter. Als ­Quäker kann ich innere Ruhe ausstrahlen. Merkt mein Gegenüber in einer gefährlichen Lage, dass von mir keine Gefahr ausgeht, können wir reden. Werde ich hektisch, laufe ich Gefahr, erschossen zu werden. Ohne Hoffnung, Glaube und Liebe kann ich diese ­Arbeit nicht machen. Leute, die nur politisch motiviert sind, ­brennen irgendwann aus. Sie machen die Situation manchmal nur schlimmer. Sie müssen Ergebnisse sehen. Das muss ich nicht.

Gisela Faust, 92

Gisela Faust
Mein Vater wollte nach dem Ersten Weltkrieg keine Waffe mehr in die Hand nehmen. In Berlin fand er britische und amerikanische Quäker, die in der großen Hungers­not mit Kinderspeisungen halfen. Viele Deutsche fragten damals: Warum machen unsere Feinde das?

Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 forderten die britischen Quäker ihre Regierung auf, wenigstens jüdische ­Kinder aus Deutschland aufzunehmen. England wollte keine Flüchtlinge mehr und willigte nur unter der Bedingung ein, dass die Flüchtlingskomitees die Kosten übernehmen und für alles bürgen. Der erste Kindertransport kam schon am 1. Dezember 1938 zustande. Vorm Quäkerbüro stand eine lange Schlange. Heute hört man überall in der Welt: „Ach, die und die kam auch mit dem Kindertransport raus.“ Die meisten waren in meinem Alter und sind jetzt um die 90 Jahre alt.

Wir konnten keine Juden verstecken, mein Vater war zu bekannt. Aber viele Quäker taten es: Gertrud Luckner und Eva und Carl Hermann flogen auf und wurden verhaftet. Andere wie Elisabeth Abegg, Gerhard und Ilse Schwersensky sprachen nicht darüber, auch nicht nach dem Krieg. Wir erfuhren erst davon, als Yad Vashem sie als „Gerechte der Völker“ ehrte.

Einer meiner Brüder wurde zum Militär eingezogen. Mein Vater sagte: Melde dich zur Marine, da dauert die Ausbildung so lange – bis dahin ist der Krieg vorbei. Das war er auch. Der andere Bruder war noch nicht 16, da sollte er zur Waffen-SS. Er ist für den Rest des Krieges untergetaucht.

Nach dem Krieg haben amerikanische Quäker Nachbarschaftsheime eingerichtet. Da wurden Kinder betreut, man konnte mit Nähmaschinen Kleidung umnähen. Und in Abendvorträgen wurden die Menschen auf die Demokratie vorbereitet.

Heute sagen Leute immer wieder: Ich habe den Quäkern vieles zu verdanken. Am Haus, in dem die Quäkerin Margarethe Lachmund in Anklam gewohnt hat, ließ jemand eine Plakette anbringen – aus Dankbarkeit, weil die Frau ihm das Leben gerettet hat. Wir Quäker würden nie für unsere Leute Plaketten anbringen lassen.

Davorka Lovrekovic, 53

Davorka Lovrekovic
Ich bin in Zagreb geboren und im Schwäbischen aufgewachsen. Meine Eltern bekamen 1969 politisches Asyl. Ich habe katholische Theologie studiert und kam bei einem Auslandsaufenthalt in Georgia, USA, in eine ökumenische Kommunität, „Koinonia Farms“. Dort war auch ­eine Quäkerin, die jeden Sonntag allein in den Wald an einen See ging, zur Stillen Andacht. Das nächste Quäkertreffen wäre vier Stunden entfernt gewesen. Sie hat mich neugierig gemacht.

Bei den Quäkern waren Frauen schon immer gleichwertig. Ihr Bekenntnis zum Frieden ist klar. Für Quäker ist nicht die Kriegsdienstverweigerung eine Gewissensentscheidung, sondern der Kriegsdienst. Ich lebe mit meinem Mann und unseren ­Kindern im Laurentiuskonvent, einer ökumenischen Kommunität bei Wetzlar. Wir haben alle unsere Wohnung, aber wir kaufen gemeinsam ein und halten jeden Morgen Andacht.

Ich arbeite bei „Church and Peace“, einem europäischen Netzwerk, bei dem die Quäker Mitglied sind. Wir bringen christliche Organisationen zusammen, die sich für Frieden und gewaltfreies Handeln engagieren: „Eirene“ entsendet Menschen in den ­Friedensdienst. Der Verein „gewaltfrei handeln“ schult Menschen, gewaltfrei Konflikte zu bearbeiten. Die „Church of the Brethren“ vermittelt Frei­willige auch nach Europa. „Brot und ­Rosen“ ist eine Hamburger Kommunität, die Flüchtlingen hilft. Orden nehmen uns in ihr Gebet auf, auch das ist uns wichtig. Wir laden andere ein, mit uns dem Ruf Jesu zur Gewaltfreiheit zu folgen. Daher arbeiten wir mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Konferenz Europäischer Kirchen zusammen.

Der Fotograf

###drp|KhDEy0BvLwp036pt06kTA7uF00130030|i-38||###Christian Protte, Jahrgang 1981, kannte langes Schwei­gen aus dem tiefschwarzen Pader­born. Daran, dass jemand aufsteht und spricht, musste er sich gewöhnen.

Quäker sehen im anderen Menschen das göttliche Licht. Für die Jahresversammlung der Quäker bin ich auch Delegierte bei dem Quäkerbüro in Brüssel. Wir vertreten nicht unsere Interessen, sondern Friedensarbeit, Ökologie und Menschenrechtsfragen. Das macht uns glaubwürdig. Wir sprechen ­hohe Verwaltungsbeamte an. Diese Menschen ­haben sich viel für ihren begehrten Job in der Europäischen Union vorgenommen. Daran erinnern wir sie und versuchen, sie in ihren Idealen zu bestärken. Und wir liefern Fakten, die helfen, gute und nachhaltige Entscheidungen zu fällen. Das ist vor allem Beziehungsarbeit, die viel Geduld erfordert.

Die Religiöse Gesellschaft der Freunde

Die Mitte des 17. Jahrhunderts war eine Zeit religiöser Erweckung – und gleichzeitig der Desillusionierung in England. George Fox (1624–91) wandte sich von vorherrschenden religiösen Strömungen ab und gründete die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“. Er lehrte, in jedem Menschen sei ein göttliches Licht. Weil George Fox aus Ergriffenheit bebte (englisch: „to quake“), nannte man ihn und seine Freunde spöttisch „Quaker“.

Ihre Andachten sind schlicht. Schweigend warten sie auf Eingebungen. Wer eine hat, steht auf und äußert sie. Quäker sind strikt egalitär. Von Anfang an leiteten auch Frauen die Versammlungen, Männer behielten dort ihre Hüte auf. Quäker duzten jeden, sie lehnten von Anfang an Sklaverei und Militärdienst ab.

Auch William Penn (1644–1718), Sohn eines englischen Admirals, zählt zu den ersten Quäkern. König Charles II. hatte Schulden bei Penns Vater und beglich sie nach dessen Tod, indem er dem Sohn 1681 ein bewalde­tes Gebiet in der Neuen Welt überschrieb: Pennsylvania. Penn gründete dort die Stadt „Philadelphia“, Geschwisterliebe. Hier herrschte Glaubensfreiheit, das Land wurde den Indianern fair abgekauft, ein Grenzstreit mit Mary­land gewaltfrei gelöst.

Heute gibt es große Quäkergemeinden vor allem in den USA und England. In Ostafrika wächst ihre Zahl sogar. Auch in Deutschland treffen sich die Quäker auf Jahresversammlungen. International bleiben sie in Verbindung, indem sie einander von ihren Jahres­versammlungen berichten. Manche Quäker nennen sich evangelikal, andere spirituell. Viele sind auch liberal bis säkular. Auch deutsche Quäker sind sehr verschieden.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.