Esther Köhring, 33
Wir fingen mit dem Abendessen an. Beim Spülen sagte jemand: Wir treffen uns um acht oben. Dann saßen wir im Sofakreis, und alle schwiegen, eine Stunde lang. Ich war furchtbar irritiert: Was machen die? Beten? Ich habe erst versucht, mich ans Vaterunser zu erinnern. Aber an den nächsten Abenden habe ich die Stille zu schätzen gelernt. Nach drei Tagen nahm ich meinen Mut zusammen und fragte: „Was machen wir da eigentlich?“ Dann erzählte jeder reihum, was er oder sie während der Stillen Andacht macht: „Ich denke über den Tag nach.“ Oder: „Ich versuche, an nichts zu denken.“ – Es gibt keine Regel, lernte ich. Ich kann alles ausprobieren.
Serie: Friedenskirchen
- Sind Mennoniten, Quäker und Brethren für andere Kirchen Vorbilder?
- Bleiben sie pazifistisch, wenn es hart auf hart kommt?
- Und was bringt ihr Engagement wirklich für den Frieden?
Niemand hat bestimmt, wann wir morgens gemeinsam frühstücken oder was wir am nächsten Tag unternehmen. Es wurde auch nicht abgestimmt. Wir schwiegen, jemand hat etwas gesagt, dann noch jemand. Bis wir wussten, was uns allen wichtig ist, und die Lösung irgendwie von selbst klar wurde. Gerieten zwei Leute in ein Wortgefecht, schlugen die Älteren vor: „Lasst uns erst still sein und warten, bis jemand anderes noch was sagen möchte.“
So laufen bei den Quäkern auch Geschäftsandachten. Jeder sollte sich nur einmal äußern. Ein Schreiber hat im Blick, wer noch etwas sagen möchte. Man versucht, in der Gemeinschaft die Richtung zu finden, in die man gehen möchte oder zu gehen aufgefordert ist, denn das Ergebnis entsteht unter der Führung von etwas Größerem. Das funktioniert, obwohl nicht alle dieses Größere Gott nennen. Aus den Beiträgen hört der Schreiber den „Sense of the meeting“ heraus, also die Richtung, die sich ergeben hat. Er fasst sie in einem Beschluss zusammen, liest ihn vor, und die Versammlung reagiert darauf. Zum Beispiel so: „Dieser letzte Satz gibt nicht wieder, wo wir schon waren.“ Wenn der Beschluss gut ist, gilt das Schweigen als Zustimmung.
Roswitha Jarman, 80
Anfang der 1990er Jahre schickten die englischen Quäker meinen Mann und mich nach Moskau. Dort unterstützten wir Gruppen, die die zivile Gesellschaft aufbauen wollten. Wir unterstützten Kriegsdienstverweigerer und Menschen, die Wege suchen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Einmal wurden wir zu einer Konferenz nach Sankt Petersburg eingeladen. Dort kamen Lehrer aus allen Gebieten der damals aufgelösten Sowjetunion zusammen, aus der Ukraine, vom Baikalsee, vom Nordkaukasus. Wir sprachen mit ihnen über Selbsterkenntnis. In der Sowjetunion waren die Menschen eingeordnet gewesen, wo sie zu wohnen und zu arbeiten hatten. Wir fragten sie: Wer bist du, und was kannst du? Selbst gebildete Menschen wussten darauf oft keine Antwort.
Es ging oft um Selbstbejahung. Die Psychologen in der Sowjetzeit füllten Formulare über ein Kind aus und sagten: „Wenn du das Formular siehst, weißt du genau, was für ein junger Mensch da vor dir ist.“ Wir wollten zu erkennen geben: Findet im Gespräch heraus, was der junge Mensch selbst sagt. Ich leitete Seminare für Psychologen an vielen Orten in der ehemaligen Sowjetunion.
Der Autor
###drp|Z_qABWQVrO43tVkCuNVMVqRS00046693|i-38||###Burkhard Weitz, Jahrgang 1965, hat Anfang der 90er Jahre in Philadelphia eine Quäkerandacht besucht und war damals sehr beeindruckt.
Das Projekt endete später, als 2004 in der Stadt Beslan mehr als tausend Jugendliche und Lehrer in einer Schule als Geiseln genommen wurden. Da waren wir schon nicht mehr in Russland. Ich rief eine Direktorin an, die mich zweimal im Jahr an ihre Schule in Wladikawkas eingeladen und oft die Workshops mitgemacht hatte. Ich sagte ihr, wie traurig ich das fand. Da sagte sie: „Ich gehe jetzt in die Flüchtlingslager zu den Tschetschenen und mache die Workshops, die du mit uns gemacht hast.“ Als ich sie kennengelernt hatte, waren Inguschen und Tschetschenen noch ihre Feinde. Da hatte sich also etwas verändert.
Christopher Hatton, 45
Partner vor Ort, die gewaltfrei agieren, laden uns ein. In Palästina nahe Hebron an der Waffenstillstandslinie helfen wir Bauern, dass sie nicht angegriffen oder gar vertrieben werden. Das israelische Militär nutzt ihre Felder als Truppenübungsplatz. Radikale zionistische Siedler fällen ihre Bäume und schneiden sie von Strom und Wasser ab. Wir helfen, das Land zu bewirtschaften. Liegt es drei Jahre brach, gilt es als herrenlos und fällt an den Staat Israel. Zuletzt war ich Ende 2013, Anfang 2014 dort. Dafür nehme ich vier Wochen Urlaub.
Wir sind mit den Unterdrückten solidarisch, aber wir lösen keinen Konflikt. Wir geben verfeindeten Gruppen Raum, dass sie ihre Angst überwinden können. Manchmal gelingt das. Einmal sprach ich mit einem Siedler auf Deutsch. Er stritt in gebrochenem Hebräisch mit einem palästinensischen Bauern um Land. Während ich übersetzte, bemerkte er, dass er ein Feld zu weit gelangt war und nahm seinen Zaun zurück. Er wurde später aus der zionistischen Siedlung geworfen, weil er nicht hart genug war. Aber als wir, ein Jude, ein Muslim und ein Christ, uns unterhielten, habe ich den Geist Gottes gespürt, ein unglaubliches Gefühl. Ich bin ein Quaking Quaker, ein bebender Quäker. Ich zittere, wenn ich den Heiligen Geist spüre.
Vorm Einsatz prüfe ich mit Freunden und Freundinnen meine Motivation. Quäker unterscheiden: Hat Gott mich wirklich berufen? Folge ich meinem Ego, bin ich kein Friedensstifter. Als Quäker kann ich innere Ruhe ausstrahlen. Merkt mein Gegenüber in einer gefährlichen Lage, dass von mir keine Gefahr ausgeht, können wir reden. Werde ich hektisch, laufe ich Gefahr, erschossen zu werden. Ohne Hoffnung, Glaube und Liebe kann ich diese Arbeit nicht machen. Leute, die nur politisch motiviert sind, brennen irgendwann aus. Sie machen die Situation manchmal nur schlimmer. Sie müssen Ergebnisse sehen. Das muss ich nicht.
Gisela Faust, 92
Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 forderten die britischen Quäker ihre Regierung auf, wenigstens jüdische Kinder aus Deutschland aufzunehmen. England wollte keine Flüchtlinge mehr und willigte nur unter der Bedingung ein, dass die Flüchtlingskomitees die Kosten übernehmen und für alles bürgen. Der erste Kindertransport kam schon am 1. Dezember 1938 zustande. Vorm Quäkerbüro stand eine lange Schlange. Heute hört man überall in der Welt: „Ach, die und die kam auch mit dem Kindertransport raus.“ Die meisten waren in meinem Alter und sind jetzt um die 90 Jahre alt.
Wir konnten keine Juden verstecken, mein Vater war zu bekannt. Aber viele Quäker taten es: Gertrud Luckner und Eva und Carl Hermann flogen auf und wurden verhaftet. Andere wie Elisabeth Abegg, Gerhard und Ilse Schwersensky sprachen nicht darüber, auch nicht nach dem Krieg. Wir erfuhren erst davon, als Yad Vashem sie als „Gerechte der Völker“ ehrte.
Einer meiner Brüder wurde zum Militär eingezogen. Mein Vater sagte: Melde dich zur Marine, da dauert die Ausbildung so lange – bis dahin ist der Krieg vorbei. Das war er auch. Der andere Bruder war noch nicht 16, da sollte er zur Waffen-SS. Er ist für den Rest des Krieges untergetaucht.
Nach dem Krieg haben amerikanische Quäker Nachbarschaftsheime eingerichtet. Da wurden Kinder betreut, man konnte mit Nähmaschinen Kleidung umnähen. Und in Abendvorträgen wurden die Menschen auf die Demokratie vorbereitet.
Heute sagen Leute immer wieder: Ich habe den Quäkern vieles zu verdanken. Am Haus, in dem die Quäkerin Margarethe Lachmund in Anklam gewohnt hat, ließ jemand eine Plakette anbringen – aus Dankbarkeit, weil die Frau ihm das Leben gerettet hat. Wir Quäker würden nie für unsere Leute Plaketten anbringen lassen.
Davorka Lovrekovic, 53
Bei den Quäkern waren Frauen schon immer gleichwertig. Ihr Bekenntnis zum Frieden ist klar. Für Quäker ist nicht die Kriegsdienstverweigerung eine Gewissensentscheidung, sondern der Kriegsdienst. Ich lebe mit meinem Mann und unseren Kindern im Laurentiuskonvent, einer ökumenischen Kommunität bei Wetzlar. Wir haben alle unsere Wohnung, aber wir kaufen gemeinsam ein und halten jeden Morgen Andacht.
Ich arbeite bei „Church and Peace“, einem europäischen Netzwerk, bei dem die Quäker Mitglied sind. Wir bringen christliche Organisationen zusammen, die sich für Frieden und gewaltfreies Handeln engagieren: „Eirene“ entsendet Menschen in den Friedensdienst. Der Verein „gewaltfrei handeln“ schult Menschen, gewaltfrei Konflikte zu bearbeiten. Die „Church of the Brethren“ vermittelt Freiwillige auch nach Europa. „Brot und Rosen“ ist eine Hamburger Kommunität, die Flüchtlingen hilft. Orden nehmen uns in ihr Gebet auf, auch das ist uns wichtig. Wir laden andere ein, mit uns dem Ruf Jesu zur Gewaltfreiheit zu folgen. Daher arbeiten wir mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Konferenz Europäischer Kirchen zusammen.
Der Fotograf
###drp|KhDEy0BvLwp036pt06kTA7uF00130030|i-38||###Christian Protte, Jahrgang 1981, kannte langes Schweigen aus dem tiefschwarzen Paderborn. Daran, dass jemand aufsteht und spricht, musste er sich gewöhnen.
Die Religiöse Gesellschaft der Freunde
Die Mitte des 17. Jahrhunderts war eine Zeit religiöser Erweckung – und gleichzeitig der Desillusionierung in England. George Fox (1624–91) wandte sich von vorherrschenden religiösen Strömungen ab und gründete die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“. Er lehrte, in jedem Menschen sei ein göttliches Licht. Weil George Fox aus Ergriffenheit bebte (englisch: „to quake“), nannte man ihn und seine Freunde spöttisch „Quaker“.
Ihre Andachten sind schlicht. Schweigend warten sie auf Eingebungen. Wer eine hat, steht auf und äußert sie. Quäker sind strikt egalitär. Von Anfang an leiteten auch Frauen die Versammlungen, Männer behielten dort ihre Hüte auf. Quäker duzten jeden, sie lehnten von Anfang an Sklaverei und Militärdienst ab.
Auch William Penn (1644–1718), Sohn eines englischen Admirals, zählt zu den ersten Quäkern. König Charles II. hatte Schulden bei Penns Vater und beglich sie nach dessen Tod, indem er dem Sohn 1681 ein bewaldetes Gebiet in der Neuen Welt überschrieb: Pennsylvania. Penn gründete dort die Stadt „Philadelphia“, Geschwisterliebe. Hier herrschte Glaubensfreiheit, das Land wurde den Indianern fair abgekauft, ein Grenzstreit mit Maryland gewaltfrei gelöst.
Heute gibt es große Quäkergemeinden vor allem in den USA und England. In Ostafrika wächst ihre Zahl sogar. Auch in Deutschland treffen sich die Quäker auf Jahresversammlungen. International bleiben sie in Verbindung, indem sie einander von ihren Jahresversammlungen berichten. Manche Quäker nennen sich evangelikal, andere spirituell. Viele sind auch liberal bis säkular. Auch deutsche Quäker sind sehr verschieden.