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Carla Maurer mit einer E-Mail aus London.
Foto: Peter Philipp
09.06.2015

In der U-Bahn, so kennt man es aus vielen Großstädten, wird gedrängelt, gemeckert, laut geredet, telefoniert. Nicht so in London. Wenn das unterirdische System die Menschen eingesaugt hat, dann wird es still. Schon fast unheimlich. Keiner spricht, die Mobiltelefone sagen „no service“, und die Menschen starren entweder vor sich hin oder lesen ein Buch. Manche meditieren. Reden tun dann nur die Touristen und ein paar von sich überzeugte Geschäftsherren. Erstaunlicherweise gilt: Je voller die Bahn, desto ruhiger ist es.

###autor### Oft wird dieses Vor-sich-Hinstarren als Zeichen des Verfalls der westlichen Zivili­sation interpretiert. Die Menschen hätten sich nichts mehr zu sagen und seien apathisch. Ich sehe das anders. Es ist eine stillschweigende Vereinbarung, die das explosive Gefüge der Acht-Millionen-Stadt vor dem Zerbrechen bewahrt. Es ist eine respektvolle Ruhe. Sie sagt: Wir hatten alle einen harten Tag und sind total reizüberflutet, und was wir in dieser Röhre verloren haben, ist uns sowieso ein Rätsel. Drum lasst uns doch einfach mal kollektiv die Klappe halten.

Ich mag es auch deshalb da unten, weil ich ohnehin am liebsten schweige. Der wortreiche dialogische Austausch hat sich ja in fast allen Lebensbereichen als herrschendes Kommunikationsmittel durchgesetzt. In der U-Bahn kann ich mit ganz vielen unbekannten Menschen im gegenseitigen Einverständnis schweigen. Und wenn mich das Röhrensystem dann wieder ausspuckt, habe ich das Gefühl, ich hätte meine Mitpassagiere ein bisschen kennengelernt. Wir verstehen uns nämlich.  

 

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