Heinrich Bedford-Strohm, der neue Chef der Evangelischen Kirche in Deutschland: offensiv und gewinnend
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
06.11.2014

Eine Überraschung ist etwas anderes. Dass Heinrich Bedford-Strohm, der evangelische Landesbischof aus Bayern, am 11.11.2014 mit klarer Mehrheit zum neuen Ratsvorsitzenden der bundesweiten EKD gewählt werden würde, hatte sich schon länger abgezeichnet. Er erhielt 106 von 125 Stimmen - ein fulminantes Ergebnis. Bedford-Strohm ist ein brillanter Theologe, politischer Denker, Freund klarer Worte, und deshalb Wunschpartner nicht zuletzt für viele Journalisten. Für ihn spricht auch, dass er entspannt und offen mit Menschen umgeht und sie leicht für sich und seine Überlegungen einzunehmen vermag. Die Wahl eines neuen EKD-Chefs ein Jahr vor Ende der Dienstzeit war notwendig geworden, weil Nikolaus Schneider, sein Vorgänger, sich noch intensiver um seine krebskranke Frau kümmern will und deshalb zurückgetreten war.

Es ist für die Wahl Bedford-Strohms sicherlich nicht von Nachteil gewesen, dass er auf freundschaftlichem Fuß mit dem ebenfalls in München residierenden Vorsitzenden der katholischen deutschen Bischofskonferenz steht, mit Kardinal Reinhard Marx. Beide sind strategische Denker, beide verlieren in der Alltagsarbeit die großen Fragen nicht aus den Augen. Und beide werden an dem nächsten großen Rad drehen: Was passiert im Jahr 2017, dem Jubiläumsjahr der Reformation? Lange ließen die katholischen Bischöfe die EKD zappeln – werden sie an den evagelischen Feierlichkeiten teilnehmen oder nicht? Sind sie auf Abgrenzung gestimmt oder auf Versöhnung? Reinhard Marx hat am letzten Tag der Amtszeit des Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider in Aussicht gestellt, dass auch die Katholiken das Reformationsjubiläum mit begehen. Hinter vorgehaltener Hand ist die Rede von einem großen ökumenischen Kongress beider Kirchen im Herbst 2017.

Ein Theologe, der politisch Position bezieht

Heinrich Bedford-Strohm liebt es, sich mit den großen politischen Fragen zu befassen. Er ist seit 2011 bayerischer lutherischer Landesbischof, ist theologisch und ethisch Ziehsohn des früheren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber. Auch Bedford-Strohm ist (war) Theologieprofessor, mit beider Namen verbindet sich das Programm der „öffentlichen Theologie“.  Was bedeutet: Eine glaubhafte, stimmige Theologie muss immer auch Bezug nehmen auf Gesellschaft und Politik. Sie ist nicht damit zufrieden, die Seelen ihrer Anhänger zu nähren, sondern sie hat auch eine ordnende und reflektierende Aufgabe für das Gemeinwesen. „Die Kirchen müssen Position beziehen“, so beginnen immer wieder Bemerkungen Bedford-Strohms. Aber bei der Selbstvorstellung vor der EKD-Synode zur Wahl stellte er auch klar: "Wir schwingen uns nicht auf als die besseren politischen Kommentatoren."

Bedford-Strohm macht sich vernehmbar, wo Fragen von allgemeiner Relevanz verhandelt werden: Gesetzesvorhaben, wirtschaftliche Entwicklungen, internationale Beziehungen. Gerade erst hat er zum Thema Sterbehilfe ein Buch geschrieben, in dem er eine „Tötung auf Verlangen“ und „organisierte Sterbehilfe“ für weiterhin unzulässig erklärt. Seine Linie ist: nein zu einem ärztlich assistierten Suizid, stattdessen eine „würdevolle Sterbebegleitung“. Da heißt es, viel Geld in die Hand zu nehmen und sehr viel mehr medizinische Kräfte ausbilden. 

Zum Dauerkonflikt zwischen Juden und Christen in Nahost und dem sechswöchigen Krieg im vergangenen Sommer sagt er: Das Existenzrecht Israel sei für ihn „absolute Grundlage“ für die Versöhnung. Aber auch Israel müsse anerkennen: „Die Menschenrechte gelten für alle.“  Dass Gewaltanwendung religiös gerechtfertigt werde – das brutale Vorgehen des „Islamischen Staates“ ist vor aller Augen-, ist für Bedford-Strohm eine „Perversion“, also eine Verkehrung ins Gegenteil dessen, war richtig ist. „Welch Perversion der Berufung auf Gott, wenn die Vernichtung anderer Menschen als der Wille Gottes ausgegeben wird!“, sagt er in einem Gottesdienst in der Jerusalemer Erlöserkirche Mitte Oktober.

Hohe Hürden für den Gebrauch militärischer Gewalt

Angesichts der Gewalttaten der IS hatte Bedford-Strohm nach einer Reise in den Nordirak Mitte September einerseits eine Schutzzone für die Flüchtlinge unter UN-Mandat gefordert sowie mehr internationale humanitäre Hilfe, andererseits aber auch die deutschen Waffenlieferungen an die kurdische Peschmerga gerechtfertigt. Seine grundsätzlichen Bedenken gegen Waffenlieferungen gab er dabei nicht auf, auch die Kirchen würden die Schattenseiten der Lieferungen genau kennen: „Jeder weiß, dass die Region vollgepumpt ist mit Waffen“.

Deshalb hat er sich wiederholt für eine Beschränkung von Rüstungsexporten stark gemacht und erst jüngst Vorstöße aus der SPD-Spitze, namentlich des Parteichefs Sigmar Gabriel, begrüßt. Bedford-Strohm wörtlich: Eine Lieferung ohne klare Sicherungsmechanismen gegen die unkontrollierte Verbreitung sei „ethisch nicht zu rechtfertigen“. Und er prägte das schöne Wort: Die Welt verändere sich, wenn Menschen gegen die „kalte Realität der Kämpfer“ die „sanfte Kraft der Liebe“ stellten. Bedford-Strohm gehen die ethnischen Morde in Zentralafrika nach. Das damalige Versagen der Weltgemeinschaft in Ruanda dürfe sich nie mehr wiederholen. Auch deshalb trat er für einen militärischen Einsatz gegen die IS-Truppen ein. Aber wiederholt hatte Bedford-Strohm darauf gepocht: Die Hürden für den Gebrauch von Gewalt müssten „extrem hoch gesetzt werden, auch dann, wenn sie als ultima ratio nicht ausgeschlossen werden kann.“

Das erste Reformationsjubiläum ohne ideologischen Zwecke

Bedford-Strohm ist auch gegenüber der katholischen Kirche zu deutlichen Worten bereit, zum Beispiel beim Thema Reformationsjubiläum 2017. Über einzelne katholische Äußerungen, man solle alle Einladungen zu den bevorstehenden Feiern zurückweisen, konnte sich Bedford-Strohm nur wundern. Denn so, wie das Jubiläum konzipiert ist, setzt es gerade nicht auf konfessionelle Abgrenzung. Es ist so, wie es Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin de EKD, in ihrem Bericht über die Vorbereitungen des Jubiläums 2017 beschrieb: Zum ersten Mal in der Geschichte der Reformationsjubiläen erscheine eine „historisch diskursive, theologisch vielfältige und gesellschaftspolitisch offene und entsprechend plurale Erinnerungskultur möglich“. Das bedeutet: kein Missbrauch zu politischen Zwecken wie 1917 in Kriegszeiten oder 1983 in der DDR. „Das Reformationsjubiläum 2017 soll“, so Käßmann, „nach Auffassung aller Engagierten weder die Person Martin Luther oder andere Reformatoren und sein Handeln idealisieren noch soll die Reformation als alleiniger Motor zur Moderne dargestellt werden; weder soll eine antiökumenische Haltung eingenommen werden noch sollen die zivilgesellschaftlichen Wirkungen der Reformation isoliert dargestellt werden. Auch wird das Jubiläum die Reformation nicht nationalistisch verengen auf Deutschland (das vermeintliche „Mutterland oder Kernland der Reformation“) und auch nicht die Schattenseiten der Reformation (und insbesondere den Antijudaismus des späten Luther) verdrängen.“ Es gehe vielmehr darum, das Potenzial des Glaubens für die Zukunft deutlich zu machen.

Als Ethiker verkneift sich Bedford-Strohm wie sein theologischer Ziehvater Wolfgang Huber kritische Äußerungen zum Wirtschaftssystem nicht. „Unser Alltag ist so sehr durchzogen von der Logik des Wettbewerbs, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, wie wenig normal diese Logik ist“, sagte er in seinem Pfingstpredigt 2014 in München. Der „Normalfall“ sei für Christen etwas anderes: Kooperation und die wechselseitige Förderung. „Eine Wirtschaft, die Kapitalinteressen an die erste Stelle stellt und über Auswirkungen auf die Schwächsten hinweg geht, tötet“, sagte er einmal. Deshalb fordert Bedford-Strohm auch eine soziale und ökologische Umorientierung der Wirtschaft.

Eine Wirtschaft, die tötet

Deutschland, so seine Auffassung, müsse eine Vorreiterrolle bei der Transformation der Industriegesellschaft übernehmen. „Wir haben nicht mehr Rechte auf die Ressourcen als andere Länder und künftige Generationen“, äußerte er im April 2014 bei einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion. Bedford vermisst auch eine intensive politische Debatte „über eine zielgerichtete und nachhaltige Zuwanderung in Deutschland“ (Geistliches Wort zum Jahreswechsel 2013/14) und ein modernes Zuwanderungskonzept, um das Unwesen der Schleuser einzudämmen und die Benachteiligung von Frauen bei den Fluchtchancen zu mindern (Landessynode Ingolstadt, November 2013).

Mit der Wahl Bedford-Strohms zum Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche ist München fast schon zu einem neuen kirchlichen Kraftzentrum geworden. Da bekommt auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer schon einmal einiges zu hören, zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge. Was der Landesbischof dem Landeschef zu sagt, wird so ähnlich klingen wie das, was Bedford-Strohm vor kurzem im chrismon-Interview sagte: „Wir sind als reiches Land in der Pflicht und in der Lage, viele Menschen aufzunehmen. Wir geben in Deutschland Milliarden Euro für viele Exzellenz-Initiativen an den Unis aus. Ich wünsche mir eine Exzellenz-Initiative der Menschlichkeit.“

 

 

 

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