Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild
20.10.2010

Im vergangenen Jahr ging ein Mediziner bis zum Europäischen Gerichtshof, um sich gegen unzumutbar lange Arbeitszeiten im Krankenhaus zu wehren. Ihre Ursache: viele Stunden unbezahlten Bereitschaftsdienstes. Journalisten fragten ihn, woher seine Kraft komme, solch einen steinigen Weg durch die Instanzen zu gehen. Er verwies sie unter anderem auf seine Familie und seinen christlichen Glauben. Wieder einmal zeigte sich: Um beharrlichen Widerstand gegen institutionell festgezurrte Missstände zu entwickeln, gehört auch die Kraft des Glaubens.

Um beharrlichen Widerstand zu entwickeln, gehört auch die Kraft des Glaubens.

Der Beruf des Arztes zählt zu den so genannten Professionen, jenen Berufen, mit denen Menschen sich in besonderer Weise identifizieren müssen, aber auch identifizieren können. Mir verlangt ihre Tätigkeit eine besondere Hochachtung ab. Aber sie ist mit besonderen Risiken und hohen Belastungen verbunden.

Dass sich ärztliche und pflegerische Arbeitsbedingungen verbessern müssen, wird oft gefordert. Leider meistens ohne Erfolg. Die neuen Abrechnungsformen in Krankenhäusern, DRG genannt, werden, wie ich fürchte, daran nichts ändern. Oft führen Übermüdung, Überlastung und fachliche Überforderung insbesondere auch junger Ärztinnen und Ärzte zu kritischen Situationen.

Das stelle ich mir vor Augen, wenn ich lese, dass man in Deutschland pro Jahr mit 100000 Behandlungsfehlern rechnet. Ob diese Zahl stimmt und wodurch diese Fehler verursacht werden, wage ich nicht einzuschätzen. Fehler sind zwar menschlich, aber das ist für die Opfer von medizinischen Fehlbehandlungen kein Trost. Wenn Menschen für den Rest ihres Lebens psychischen oder physischen Schaden davontragen oder gar einen Angehörigen verloren haben, ist der Hinweis darauf, dass alle Menschen Fehler machen, alles andere als eine Hilfe. Wichtig und richtig wäre es, offen mit diesem Problem umzugehen. Aber Behandlungsfehler und ihre Folgen sind oft noch immer von einer Mauer des Schweigens und des Vertuschens umgeben.

Ärztinnen und Ärzten müssen Fehler eingestehen dürfen

Ärztinnen und Ärzten untersagt ist, Fehler einzugestehen? Mir geht ein Bericht von Stefanie Bachstein nach. Ihre siebenjährige Tochter wurde nach einem Verkehrsunfall im Rettungswagen fehlintubiert, also falsch künstlich beatmet, und starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ihre Familie wurde zusätzlich traumatisiert, als das medizinische Fehlverhalten erst verdrängt und dann systematisch bagatellisiert wurde. Stefanie Bachstein berichtet in ihrem Buch "Du hättest leben können" nicht nur von ihren enormen Schwierigkeiten, als sie sich mit dem Krankenhaus und der Versicherungsgesellschaft auseinander setzte. Sie erzählt auch von ihren Annäherungen an die junge Medizinerin, die im Rettungswagen Dienst hatte. Diese Begegnung verlief sehr vorsichtig. Aber es ist beim Lesen zu spüren: Nur so konnten die Verwundungen auf beiden Seiten heilen.

Aber wie soll eine solche Begegnung gelingen, wenn Ärztinnen und Ärzten untersagt ist, Fehler einzugestehen? In welche Lage geraten sie, wenn ihnen das System der Haftpflichtversicherung die Möglichkeit aus der Hand nimmt, über begangene Fehler mit den Betroffenen zu reden oder gar sich zu deren Anwälten zu machen? Ich kann mir nur schwer ausmalen, was es für das ärztliche Ethos bedeutet, dass im Fall der Zuwiderhandlung dem Arzt der Versicherungsschutz entzogen werden darf. Auf jeden Fall kann es ihn ruinieren.

Dass Ärztinnen und Ärzte an diesem Punkt nicht indirekt zu amoralischen Haltungen verpflichtet werden dürfen, sollte selbstverständlich sein. Manchmal ist der gesunde Menschenverstand jedoch gerade an den Stellen, die den Nerv des Lebens betreffen, gefährlich umnebelt.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.