Marco Wagner
Eine Adelige, die sich entrüstet
Mit starken Worten ergriff Argula von Grumbach Partei für die Reformation. Ihr Medium: fordernde Briefe
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
15.08.2014

Das hat man an einer mittelalterlichen Universität so noch nicht erlebt: Eine junge Frau, die vermutlich nie eine Universität von innen gesehen hat, fordert 1523 die hohen Professoren von Ingolstadt in einem geharnischten Brief zur öffentlichen Debatte mit ihr heraus. Ohne den geringsten Selbstzweifel verlangt Argula von Grumbach, Tochter eines bayerischen Reichsfreiherrn, von ihnen zu erfahren, warum sie den jungen Magister Arsacius Seehofer zum Widerruf seiner Ansichten gezwungen und ihn anschließend ins Klos­ter Ettal verbannt hatten.

Juristisch mochte diese Abstrafung korrekt sein, denn Seehofer hatte in seinen Vorlesungen für die Theologie der Witten­berger Reformatoren Philipp Melanchthon und Martin Luther geworben. Die bayerischen Herzöge hatten aber jede Debatte darüber strikt verboten. Doch für die junge Adelige verstieß diese Straf­aktion eklatant gegen den Geist der Bibel, in der es doch um Ehrlichkeit, um Mut und die Treue zur Botschaft Jesu geht. Das ließ sie auch den bayerischen Herzog Wilhelm IV. in einem weiteren Brief wissen, in dem sie die Ingolstädter Vorgänge beklagte.

Ein Christ, eine Christin zuckt nicht zurück. Argula schreibt an die Gelehrten: „Auch wenn es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf sein, mein oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den wahren Felsen Christus selbst.“ Die klaren Worte trafen den Nerv ihrer Mit­menschen. Zunächst ohne ihr Zutun wurde der Brief als Flugschrift gedruckt, 13 Auflagen erschienen in zwei ­Monaten. Es müssen, zusammen mit weiteren Flugschriften, 30 000 Exemplare gewesen sein, Auflagen, die sich mit denen Martin ­Luthers vergleichen lassen.

Woher der Mut, die Selbstsicherheit? Und woher die Bibelkenntnisse? Es gehörte schon viel dazu, als Nichttheologin – der lateinischen Sprache nicht mächtig – und als Frau den vielen gelehrten Männern entgegenzuschleudern: „Ach Gott, wie werdet Ihr bestehen mit Eurer hohen Schul, dass Ihr so töricht und mit Macht handelt wider das Wort Gottes.“ Weder Christus noch die Apostel oder Propheten hätten andere einge­kerkert, verbrannt, gemordet oder verbannt.

„Gefühl von Gotteserwähltheit“

Argula von Grumbach empfand keine Scheu gegenüber den Mächtigen ihrer Zeit. Sie entstammte dem einflussreichen bayerischen Adelshaus von Stauff, geboren ist sie 1492 auf Burg Ehrenfels in Franken. Schon als junges Mädchen kam sie zur ­Erziehung an den Hof des bayerischen Herzogs Albrecht und seiner Frau Kunigunde, einer Schwester von Kaiser Maximilian I. Immer im Gepäck: eine deutschsprachige, vorlutherische Bibelübersetzung, die sie mit zehn Jahren von ihrem Vater erhalten hatte. Als ihre beiden Eltern 1509 im Abstand von nur fünf Tagen an der Pest starben – da war Argula 17 Jahre alt –, wurde diese Bibel für sie noch wichtiger. Sie war für sie zugleich ein „Bindeglied zu ihrer Herkunftsfamilie und ein Vermächtnis ihres Vaters“, wie Johanna Beyer, die Leiterin der Argula-von-Grumbach-Stiftung und Gleichstellungsbeauftragte der bayerischen Landeskirche, sagt.

Argula war geübt im Umgang mit Adeligen und Politikern. Und sie schrieb eifrig Briefe an die Reformatoren. Martin Luther lobte sie wiederholt, auch gegenüber Dritten, obwohl er tiefere theologische Debatten mit ihr mied. Auch schriftliche Stellungnahmen zu Argulas Bibelverständnis sind von ihm nicht erhalten. Aber ihren reformatorischen Drang, ihre klare Sprache und ihr Entschlossenheit bewunderte er.

Argula spürte in sich selbst nichts weniger als ein „Gefühl von Gotteserwähltheit“ (Johanna Beyer). Das musste auch ihr Ehemann Friedrich von Grumbach schmerzlich erfahren. Er blieb unbeirrt katholisch. Denn er stand in den Diensten der katholischen Herzöge, war ihr Landpfleger in Dietfurt. Wegen der Flugschriften seiner Frau wurde er entlassen und musste sich außerdem noch die schmachvollen Worte anhören, er habe es als Mann nicht fertiggebracht, seine Frau zum Schweigen zu bringen.

Argula zu „vermauern“ rieten ihm Verwandte. Während Luther äußerte: „Sie ist es wert, dass wir alle für sie bitten, dass Christus in ihr triumphiere. Sie ist ein besonderes Werkzeug Gottes.“

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