Erntedank Gottesdienst in Bangkok - Foto: Ulrich Holste-Helmer
Brief aus Bangkok
Einsamkeit im vermeintlichen Paradies. Viele Rentner erleben
in Thailand, wie ihre Träume platzen
Foto: privat
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13.12.2011

Von Essen-Margarethenhöhe nach Bangkok. Aus der überschaubaren, fast dörflichen Gartenstadt in die laute, hektische schwülwarme Megametropole. Die Umstellung war gewaltig. Seit sechs Monaten teilen wir uns die Pfarrstelle der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Thailand. Die Welt hier erschien uns anfangs wie ein Buch mit sieben Siegeln.
Schilder und Eti­ketten im Supermarkt sind meist nur auf Thai, man sieht kaum lateinische Buchstaben. Thai ist eine Sprache, die nichts mit irgendeinem uns bekannten Idiom zu tun hat. Schnell haben wir festgestellt, dass die Infrastruktur für alle Lebenslagen hervor­ragend ist: von Verkehrsmitteln über das Warenangebot bis zur Gesundheitsversorgung.
Die Menschen sind freundlich und ­höflich. Trotz der Geschäftigkeit der Stadt bewegen sie sich eher langsam und auf eine gelassene Weise. Das überträgt sich bald auch unmerklich auf den ungeduldigen, immer eilig und auf ­Effektivität gepolten „Farang“, wie westliche Ausländer hier genannt werden. Erst mit der Zeit merkten wir, dass die lächelnde Freundlichkeit vor allem an der extrem auf Harmonie und Respekt vor bestehenden Ordnungen und Hierachien ausgerichteten Denk- und Lebensweise der Thais liegt.

Geübt, schnell Kontakte zu knüpfen

In der Evangelischen Gemeinde ist man ein Kommen und Gehen gewöhnt. Zahlreiche deutsche Firmen haben in Bangkok eine Niederlassung. Daher sind viele der derzeit 60 Gemeinde­mitglieder sogenannte „Expats“ – Arbeitnehmer aus Deutschland, die mit ihren jungen Familien für eine begrenzte Zeit hier leben. Die Pfarrer werden für sechs Jahre in die Gemeinde entsandt, dazwischen gibt es immer wieder auch kurzzeitige Vertretungen. So sind die meisten darin geübt, schnell Kontakt zu knüpfen, sich zu vernetzen, zügig zur Sache zu kommen, flexibel zu denken und pragmatisch zu handeln. Traditionen spielen hier viel weniger als in Deutschland eine Rolle. Man muss sich immer wieder etwas einfallen lassen, um die Menschen zu erreichen und einzuladen. Das liegt uns, und wir haben das Gefühl, dass wir gut hierherpassen!

Das Gemeindehaus mit der Pfarrwohnung ist eine ruhige, grüne Oase mitten in der Großstadt. Das große, helle, mit schönen Rattanmöbeln eingerichtete Wohnzimmer ist zugleich Gottesdienstraum und Gemeindesaal. Und der Garten ein Spielplatz für die Kinder, von denen sonntags stets viele da sind. Parallel zu jedem Gottesdienst wird ein Kindergottesdienst gefeiert.

 

Unter der Woche trifft sich die Gemeinde kaum, zu weit sind die Wege in der Riesenstadt. Die Internetseite und der monatliche E-Mail-Gemeindebrief sind deshalb wichtige Brücken zu den Gemeindegliedern. Dazu zählen auch deutschsprachige Protestanten in weiteren Orten in Thailand und in den Nachbarländern Laos, Kambodscha und Myanmar, für die wir auch zuständig sind. 

Gemeinde am Badestrand

Rund 150 Kilometer von Bangkok entfernt liegt der Badeort Pattaya. Dort lebt die größte Gruppe Deutscher, die sich dauerhaft in Thailand niedergelassen haben. Es sind mehr als 10 000, dazu kommen von Oktober bis April zahlreiche „Überwinterer“ aus Deutschland. Die meisten sind Männer, fast alle im Rentenalter. Viele sind seit langem mit einer thailändischen Partnerin ver­heiratet. Sextouristen gibt es auch. Sie sorgen dafür, dass sich der schlechte Ruf des Badeorts hartnäckig hält. Aber Pattaya ist längst auch ein beliebter Ruhesitz seriöser Menschen mit mehr oder weniger guter Rente. Der Badeort ist inzwischen eine exotische Alternative zu den Kanaren oder Balearen. Doch manchem, der in Thailand einen sorglosen Lebensabend verbringen wollte, macht eine Krankheit oder ein Unfall einen Strich durch die Rechnung. Nicht alle sind gut genug abgesichert, um teure Behandlungen oder Pflege zu bezahlen. Ein staatliches soziales Netz wie in Deutschland gibt es in Thailand nicht.
 

Wirkliche Freundschaften sind selten

In Pattaya entsteht zurzeit ein kleines Gemeindezentrum – der neue Gottesdienstraum wurde am 1. Advent eröffnet. Der Bedarf ist groß. Denn zur materiellen Not kommt oft die seelische. Die thailändische Gesellschaft schottet sich gegenüber Ausländern offenbar ab. Viele „Farangs“ haben den Eindruck, dass sie bei den Einheimischen an eine gläserne Wand stoßen, sobald es über einen unverbindlichen Small Talk hin­aus­geht. Einige behaupten, Thais seien hauptsächlich an vorteilhaften Geschäftsbeziehungen interessiert. Kaum jemand findet wirkliche Freunde unter seinen Nachbarn oder Kollegen. Viele, die einmal mit großen Träumen von einem sorglosen Leben im ­Paradies auf Erden nach Thailand gekommen sind, plagt heute die Einsamkeit. Umso mehr, da so mancher bewusst alle Brücken nach Deutschland abgebrochen hat.
Viele Deutsche leben illegal in Thailand, sie haben keinen ­gültigen Pass und kein Visum mehr.  Für ein Dauervisum muss man regelmäßige Einkünfte nachweisen oder ein bestimmtes Vermögen vorweisen. Und man muss sich immer wieder bei den Behörden melden, was zeitraubend und aufwendig ist. Wer als „Overstay“ aufgegriffen wird und sich nicht freikaufen kann, dem droht das berüchtigte „Immigration Detention Center“: das Gefängnis für illegale Einwanderer. Dann sind der Pfarrer oder die Pfarrerin gefragt, um über die Deutsche Botschaft gültige Papiere zu besorgen, finanzielle Notlagen zu überbrücken und eine neue Zukunftsperspektive zu finden. Falls die Betroffenen in Deutschland Angehörige haben, versuchen wir, Kontakte aufzubauen. Dabei arbeiten wir mit dem Deutschen Hilfsverein Thailand e. V. zusammen, der 2006 auf Initiative des deutschen Botschafters gegründet wurde.

Keine Zeit für Sightseeing

Die Arbeit in einer deutschen Auslandsgemeinde bietet großen Gestaltungsraum. Nach den ersten Monaten merken wir, auf wie vielen Feldern wir zugleich unterwegs sind. Und wie wir oft nur reagieren können: auf all die Anfragen, Hoffnungen oder Beschwerden, die an uns herangetragen werden. Zum Beispiel von deutschen Gefangenen, die in thailändischen Gefängnissen ­sitzen. Oder von Menschen, die über die Gemeinde versuchen, einen Zusatzverdienst zu finden.
Zurzeit beantworten wir auch viele besorgte Anfragen aus Deutschland wegen der Überschwemmung Bangkoks. Die Innenstadt, in der wir leben, war davon nicht betroffen, daher hatte diese Flut etwas Unwirkliches – auch weil die Stimmung in der Bevölkerung trotz des fragwürdigen Krisen­­managements der Politik gelassen blieb. Ganz anders, als das in Deutschland denkbar wäre. 
Immer wieder verbringen wir viel Zeit damit, uns um unsere Visa, die Arbeitserlaubnis, einheimische Führerscheine, die Umschreibung von Bankvollmachten der Gemeinde und anderes zu kümmern. Vieles muss dann immer wieder aufs Neue aufgeschoben werden – zum Beispiel die Neugestaltung der Gemeinde-Homepage oder ein weiterer Sprachkurs. Gut möglich, dass Touristen in drei Wochen mehr Sehenswürdigkeiten Thailands zu sehen bekommen als wir nach drei Jahren.

Ein wanderndes Gottesvolk

Aber vielleicht liegt ja genau darin der Segen einer Auslandspfarrstelle: die Erfahrung machen zu dürfen, ein „wanderndes Gottesvolk“ zu sein. Eine Gemeinschaft von Menschen, von denen viele „keine bleibende Stadt“ haben. Und eine Gemeinschaft, die trotz eines Zuschusses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor allem von Freiwilligkeit lebt: sowohl vom Engagement ihrer Mitglieder als auch finanziell von ihrem Beitrag, den sie selbst festlegen.
Inzwischen gewöhnen wir uns an dieses Land, in dem es keine Jahreszeiten gibt, sondern ein kontinuierliches Wachsen, Blühen, Fruchtbringen und Verfallen. In der Adventszeit war es heiß und schwül. Wir haderten mit dem künstlichen Tannenbaum. Aber wir merkten: Der Kern der Weihnachtsbotschaft bleibt der gleiche. Wir sind angekommen – und weiter unterwegs.

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