Der Dramatiker Rolf Hochhuth
epd-bild / Doris Poklekowski
Rolf Hochhuth scheute in zeitgeschichtlichen Debatten keine Skandale: Besonders, wenn es um die Aufarbeitung der NS-Zeit ging. Am Mittwoch ist der Schriftsteller 89-jährig in Berlin gestorben.
14.05.2020

Es galt als Provokateur, der Tabus der deutschen Nachkriegsgesellschaft schonungslos auf die Bühne brachte: der Dramatiker Rolf Hochhuth. Vor allem durch sein Stück "Der Stellvertreter", in dem er sich mit der Haltung von Papst Pius XII. zum Holocaust auseinandersetzt, wurde er 1963 international bekannt. Am Mittwoch ist Hochhuth im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben, wie der Rowohlt Verlag am Donnerstag mitteilte. Der Autor hinterlässt ein umfangreiches dramatisches, essayistisches und lyrisches Werk.

Geboren wurde Hochhuth am 1. April 1931 im hessischen Eschwege. Er war Verlagslektor beim Bertelsmann Lesering, als er 1959 während eines Rom-Aufenthalts den "Stellvertreter" konzipierte. Das Dramendebüt erschien 1963 bei Rowohlt. Mit der Uraufführung unter Regie von Erwin Piscator in Berlin, die weltweit Aufsehen erregte, begann in der Bundesrepublik im gleichen Jahr eine neue Phase des Theaters. 2002 wurde das Stück von Constantin Costa-Gavras mit Ulrich Tukur in einer Hauptrolle verfilmt.

Erfolgreich und umstritten

Zur Aufarbeitung der NS-Zeit und auch zu anderen gesellschaftspolitischen Themen nahm der Schriftsteller immer wieder Stellung. Er wurde zu einem der erfolgreichsten, aber auch umstrittensten deutschen Dramatiker der Nachkriegszeit. Durch seine Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" löste Hochhuth 1978 eine Diskussion um die Vergangenheit des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als NS-Richter aus. Filbinger, der sich damals als Opfer einer Rufmordkampagne sah, trat sechs Monate später zurück.

Zu den Stücken des Autors, die mit großer Publicity bedacht wurden, gehören zudem "Wessis in Weimar" (1993) und "McKinsey kommt" (2004). In den "Szenen aus einem besetzten Land" (Untertitel) ging es um das Gebaren von Westdeutschen gegenüber ehemaligen DDR-Bürgern. Das "McKinsey"-Stück um Massenarbeitslosigkeit, die Macht von Managern und Profitgier wurde besonders von Unternehmerseite kritisiert, weil darin Verständnis für einen möglichen Mordanschlag auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank geäußert wurde.

"Mutiger Tabubrecher"

Zu zahlreichen Skandalen um Hochhuth gehört auch, dass dieser den britischen Historiker und Holocaust-Leugner David Irving in einem Interview der "Jungen Freiheit" 2005 als seriös bezeichnete. Nach scharfer Kritik des Zentralrats der Juden distanzierte sich Hochhuth später von Irving.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland würdigte Hochhuth als "mutigen Tabubrecher". Wie kein anderer habe er die unrühmliche Rolle des Vatikans während des Nationalsozialismus beleuchtet und damit eine überfällige Debatte angestoßen. "Der Stellvertreter" gehöre zum "Kanon der deutschen Literatur". So unverständlich seine zwischenzeitlichen Sympathien für Irving seien, so blieben doch seine Verdienste um die Auseinandersetzung mit der Verstrickung der gesellschaftlichen und kirchlichen Eliten in die Schoa ungeschmälert, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster. Hochhuth sollte Schriftstellern heute als Vorbild dienen.

Streit in Berlin

In Berlin begann in den 90er Jahren ein langjähriger Streit zwischen Hochhuth und dem Berliner Ensemble. Als Eigentümer des Theaters am Schiffbauerdamm hatte Hochhuth die Immobilie der Stadt verpachtet, unter der Bedingung, dass dort Stücke von ihm gespielt würden. Es kam zum Konflikt mit Intendant Claus Peymann. Als 2010 dort noch die Nato-kritische "Inselkomödie" zu sehen war, kommentierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" das einhellig verrissene Stück, man müsse sich "schon ein eigenes Theater kaufen, um so etwas auf die Bühne zu bringen."

Rolf Hochhuth erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Unter anderem wurden ihm der Kunstpreis der Stadt Basel (1976), der Geschwister-Scholl-Preis (1980), der Elisabeth-Langgässer-Preis (1990) und der Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2001) verliehen.

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