Hamburg/Köln (epd). Der WDR will die im "Spiegel" erhobenen Belästigungsvorwürfe gegen den Leiter des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie, Gebhard Henke, prüfen. Der Sender habe seit Mitte vergangener Woche Hinweise auf mögliche sexuelle Belästigung durch Henke erhalten, teilte der WDR am Freitag in Köln mit. Diesen sei man umgehend intensiv nachgegangen. In der Folge hätten mögliche Betroffene auch konkrete Vorfälle geschildert. Henkes Anwalt Peter Raue dementierte die Vorwürfe erneut.
Sechs Frauen werfen dem vom WDR freigestellten Leiter des Programmbereichs Film sexuelle Belästigung vor. Die Frauen sagten dem "Spiegel" laut Vorabmeldung vom Freitag, sie seien von Henke betatscht und begrapscht worden. Henke habe ihnen an den Po oder an den Bauch gefasst, er habe angedeutet, sie zu fördern, und dafür offenbar körperliche Zuwendungen erwartet. Die Vorwürfe reichen laut "Spiegel" von 1990 bis mindestens 2015. Bisher war nicht bekannt, was Henke konkret vorgeworfen wird.
Kritik an Vorabmeldung
Eine der Frauen, die im "Spiegel" Belästigungsvorwürfe erheben, ist die Autorin Charlotte Roche. Sie habe Henke 2013 in Köln kennengelernt. "Er gab mir die rechte Hand und legte mir die linke gleichzeitig fest mitten auf den Po", sagte Roche dem Magazin. Sie habe versucht, sich wegzubewegen, doch er habe sich mitbewegt. Sie mache sich Vorwürfe, damals nichts gesagt zu haben.
Henkes Anwalt Raue kritisierte die "Spiegel"-Vorabmeldung scharf. Sein Mandant sei zu den Vorwürfen "nie ordnungsgemäß angehört" worden, führte Raue in einem Schreiben an den "Spiegel" aus, das dem epd vorliegt. In der Mail einer "Spiegel"-Mitarbeiterin vom 1. Mai sei kein Vorwurf konkret benannt worden. Erst aus der Vorabmeldung habe Henke nun erfahren, dass es sich bei einer der angeblich Betroffenen um Charlotte Roche handeln soll.
Henke habe Roche aber nur einmal in seinem Leben getroffen, erklärte Raue. Sein Mandant könne ausschließen, "ihr bei dieser Gelegenheit eine Hand auf den Po gelegt zu haben". Der Vorwurf von Roche sei wie alle anderen Vorwürfe "falsch und an den Haaren herbeigezogen".
WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn halte die Schilderungen der Frauen "für gravierend und glaubwürdig", teilte der Sender am Freitag mit. "Selbstverständlich" sei aber auch eine Entlastung von Vorwürfen nicht ausgeschlossen. Henke habe Vorwürfe, die ihm bekannt seien, in ersten Gesprächen bestritten. "Selbstverständlich wird er zeitnah zu den einzelnen Anschuldigungen angehört", hieß es weiter. Zudem ermutigte der WDR mögliche Betroffene, sich beim Sender zu melden.
Rückendeckung von 16 Frauen aus der Branche
Am vergangenen Montag hatte der WDR die Freistellung eines weiteren hochrangigen Mitarbeiters wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung bestätigt. Nach seiner Freistellung ging Henke über seinen Anwalt mit einem Dementi an die Öffentlichkeit und forderte den WDR auf, die Vorwürfe zu konkretisieren. Am Mittwoch hatten 16 Frauen aus der Film- und TV-Branche einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie sich für Henke starkmachen und zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Vorwürfen aufrufen.
Wenige Tage vor der Freistellung Henkes hatte der WDR die frühere EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies (SPD) als externe Gutachterin eingeschaltet. Sie soll den Umgang der Senderspitze mit Vorwürfen sexueller Belästigung im Haus unabhängig überprüfen. Dem öffentlich-rechtlichen Sender wird vorgehalten, Führungskräfte hätten Hinweise auf sexuelle Belästigung durch mehrere Mitarbeiter in den vergangenen Jahren nicht ausreichend ernst genommen.
Der WDR hatte bereits Anfang April einen Auslandskorrespondenten freigestellt, dem eine Mitarbeiterin und eine ehemalige Praktikantin sexuelle Übergriffe vorwerfen. Nach Senderangaben sind in den vergangen zehn Jahren beim WDR sieben Fälle sexueller Belästigung aktenkundig geworden.