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Warum gibt es mehr Hass zwischen den Menschen?
Vielen Statistiken zufolge nimmt der Hass in den sozialen Netzwerken zu. Parallel dazu steigt die Zahl der realen Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität und Lebensweise. Wo liegt unsere Verantwortung?
privat
17.10.2023

Ich arbeite seit zehn Jahren mit sozialen Medien. In der Ukraine war das mein kleines Business: Menschen beizubringen, Texte für soziale Netzwerke zu schreiben und dort ihre persönliche Marke aufzubauen. Da ich zuvor in Deutschland lebte und Englisch und Deutsch spreche, war ich in den sozialen Netzwerken Teil eines Publikums verschiedener Nationalitäten. Und jetzt kann ich mit Sicherheit sagen: Die Menschen haben sich seitdem sehr verändert. Genauer gesagt, ihre Einstellung zueinander: Und es hat sich zum Schlechteren verändert.

Meine Experimente

Im Jahr 2020 (auf dem Höhepunkt der Lockdowns) bemerkte ich, dass es im Internet viel mehr Aggression gab. Dazu habe ich mehrere Experimente durchgeführt. Sie bestanden darin, dass ich alte und beliebte Beiträge von mir noch mal veröffentlichte. Und zwar nur solche, die vor einigen Jahren viele positive Emotionen und nur ein paar negative Kommentare hervorriefen. Die Texte behandelten unterschiedliche Themen: Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Auswanderung, zeitgenössische Kunst, moderne Einsamkeit, Körperpositivität, kritisches Denken etc. Beim zweiten Posting löste jeder Text mehr negative als positive Kommentare aus. Dabe hatte ich kein einziges Wort in den Texten geändert, nur die Reaktionen der Leute waren anders: Es gab viel weniger Geduld und Respekt für neue oder andere Gedanken/Geschichten.

Statistiken und Trends

Im Jahr 2017 betrug die Zahl der von Facebook entfernten Hasstexte nur 1,6 Millionen. Dann jedoch, zwischen April und Juni 2021, entfernte das soziale Netzwerk eine Rekordzahl von über 31 Millionen Hassreden. Im zweiten Quartal 2023 entfernte Facebook schon jetzt 18 Millionen Hassreden-Inhalte, gegenüber 10,7 Millionen im ersten Quartal 2023.

Die Zahl der auf Facebook entfernten terroristischen Inhalte betrug im Jahr 2017 1,1 Millionen. Im ersten Quartal 2022 wurde eine Rekordzahl terroristischer Propaganda von Facebook entfernt: über 16 Millionen.

Hinzu kommen sogenannte "Harrasment"-(Belästigung) und "Bullying und Mobbing" (Beschimpfungen bei der Arbeit oder in der Schule) -Inhalte noch hinzu. Insgesamt etwa 40 Millionen Arten verschiedener Hassinhalte im Jahr 2023. Und das sind nur die Inhalte auf Facebook, die in eine offizielle Statistik einfließen. Die Dunkelziffer wird um ein vieles höher liegen.

Für Deutschland heißt das konkret: mehr als jede sechste Mensch in diesem Land war zumindest einmal von Hass im Netz betroffen. Der Anteil der Befragten, denen Hate Speech im Internet begegnet ist, bleibt mit 76% auf konstant hohem Niveau. 

Gleichzeitig sehen wir in Deutschland Wahlerfolge der rechtsextremen AfD, die genau mit diesen negativen Gefühlen spielen: Angst, Feindseligkeit, Verschlossenheit.

Hass als Kommunikationsnorm

Damit es kein Missverständnis gibt: Hass war in sozialen Netzwerken schon immer präsent. Es ist ja so bequem und körperlich ungefährlich. Man beleidigt eine Person, blockiert sie und vergisst sie dann für immer. Doch das hat sich geändert. Nicht nur die Zahl der Hass-Postings ist gestiegen, auch das was und wie es geschrieben wird. Ganz "normale" Menschen diskutieren im Alltag z.B. ernsthaft darüber, welchen Tod sie einem anderen Menschen wünschen.

Ich nenne das „Normalisierung des Hasses“. Das ist ein Phänomen, in dem Hass und Aggression Teil der täglichen Routine und Kommunikation werden. Terrorismus ist dann kein "Verbrechen" mehr, sondern in ein „Schutz“ und eine „Lösung von Problemen“. Und damit lösen sich die Grenzen dessen, was möglich und nicht möglich ist, auf. Es kommt zu direkter Gewalt; ja auch zur Mord.

Wie weiter?

5 Milliarden Menschen nutzen das Internet. Informationen, gleich welcher Art, verbreiten sich in Minuntenschnelle. Fake News und Hassrede laufen noch besser und noch schneller, weil sie oft so provokant und zugespitzt sind.

Bedeutet das, dass soziale Medien dazu beitragen, Hass zu normalisieren?

Das ist eine schwierige Frage. Aber jeder von uns kann darauf achten, wie wir mit Menschen nicht nur im Internet, sondern auch im wirklichen Leben kommunizieren. Mit welchen Worten drücken wir unsere Gedanken aus? Treten wir in einen Dialog mit dem Angreifer*innen? Verbreiten wir unbestätigte Informationen? Alles ist miteinander verbunden. Und die virtuelle Realität beeinflusst das aktuelle Weltgeschehen, vielleicht noch viel mehr, als wir denken. Und dafür ist jeder von uns verantwortlich.

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Weil die Ränkespiele des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs an Heuchelei und Verlogenheit in geradezu unerträglicher Art zugenommen haben!

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Im wahrsten Sinne, unsere Verantwortung liegt und ruht/vegetiert konfusioniert in unserer systematisch egozentriert-bewusstseinsbetäubten Vernunftbegabung, bis wir die Gestaltung des ganzheitlich-ebenbildlichen Wesens Mensch, mit wirklich-wahrhaftiger Vernunft OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, zweifelsfrei-eindeutig und somit unkorrumpierbar gottgefällig/vernünftig umsetzen.!

Kolumne

Tamriko Sholi

Wer bin ich, wenn ich keine Heimatgefühle mehr habe? Was machen Krieg und Flüchtingsdasein mit mir? Darüber schreibt die ukrainisch-georgische Schriftstellerin Tamriko Sholi in Transitraum