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„Keep politics out of football“, frei übersetzt heißt das: Die Politik hat im Fußball nichts zu suchen – und der Fußball nichts in der Politik. Diesen Spruch hatten sich viele Fangruppen einst zu Eigen gemacht. Aber ganz so einfach ist es nicht mehr, zumal die Ultragruppierungen in Deutschland mit ihrer Forderung nach legalisierter Pyrotechnik und ihrer Kritik an vermeintlich überzogenen Polizeistrategien mittlerweile selbst politische Ziele verfolgen.
Also: Keine Meinung zum Schicksal von Julija Timoschenko, der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin, zu haben – so einfach sollte es sich kein Fußballfan machen, der sich auf die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine freut und vielleicht sogar nach Osteuropa reisen wird.
Wer steht in der Verantwortung?
Die Frage ist: Sollen sich Fans diese Vorfreude vermiesen, indem sie aus Protest nicht die längst gebuchte Ukrainereise antreten? Wer soll jetzt eigentlich wen oder was boykottieren? Man kommt vor lauter Aufrufen kaum noch nach. Also, wer steht in der Verantwortung?
Das sind zuallererst diejenigen, die gewählt sind, um Verantwortung wahrzunehmen: die Politiker. Insofern tut Kanzlerin Angela Merkel gut daran, den Spielen in der Ukraine fernzubleiben, sofern der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch nicht einlenkt. Auch Merkels Bitte, dass außer Sportminister Friedrich kein Kabinettsmitglied ins Stadion geht, ist schlüssig: Janukowitsch braucht Bilder, aber wenn er allein auf der Ehrentribüne sitzt, schaden sie ihm – und nützen gar nichts.
Gefragt ist aber nicht nur die Politik: Die Verantwortung der Medien und der Zivilgesellschaft sollte nun darin bestehen, bei der Bundesregierung wie auch der Opposition, die eine ähnliche Linie vertritt, kritisch nachzufragen: Würden Kanzlerin und Minister ebenso entschlossen handeln, wenn die Spiele nicht in der strategisch eher unwichtigen Ukraine, sondern im rohstoffreichen Russland stattfänden? Wie wird in Zukunft mit solcherlei Konflikten verfahren?
Guckt die FIFA in Katar genau hin?
Verantwortung haben auch die Sportfunktionäre: Hat der Fußballweltverband FIFA bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 an das Emirat Katar genau hingeschaut, wie dort mit Andersdenkenden verfahren wird? Welchen Wert hat der Veranstalter der Europameisterschaft, die UEFA, auf die Einhaltung der Menschenrechte gelegt, als die Ukraine sich beworben hat? Und wie steht der Deutsche Fußballbund zum Thema? Wird der Verband es den Nationalspielern gestatten, sich zum Fall Timoschenko zu äußern? Wird man die Spieler, an deren Lippen Millionen von Fans hängen, gar dazu ermuntern?
Das fällt uns ja früh auf: sechs Wochen bis zum Anpfiff...
Und wir, die Zuschauer, die Fans? Kritisch fragen lassen müssen wir uns schon, warum uns die Misere erst jetzt, sechs Wochen vor dem Anpfiff, auffällt? Das ist eine unangenehme Frage, aber sie nicht zu stellen, wäre zu bequem. Die Antwort kann aber auch nicht sein, dass die Fans nun zu Hause bleiben sollen. Viele haben ihren Jahresurlaub und viel Geld darauf gespart, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Sollen sie, zumal viele Ukrainer auf das Geld, das die Fans ausgeben, angewiesen sind.
Also: Fahrt hin, aber bitte mit einer Haltung! Sprechchöre in Stadien sind ja nicht ungewöhnlich – und manchmal dürfen sie auch politisch sein. Julija Timoschenko wird sie gern hören.