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Mein Opa Joachim feierte vergangenes Wochenende seinen 95. Geburtstag im Erzgebirge. Wenn meine Familie in größerer Runde zusammenkommt, gehört der Gottesdienstbesuch am Sonntag als fester Programmpunkt dazu.
Mein Opa hatte bis zu seinem Ruhestand Mitte der 90er Jahre seine letzte Pfarrstelle in dem Ort Königswalde, einem Waldhufendorf im Erzgebirge nahe dem tschechischen Grenzort Vejprty, im damaligen Böhmen Weipert genannt. In Königswalde, das im lokalen Dialekt liebevoll „Kinnisch’wall“ genannt wird, steht das Pfarrhaus im Fachwerk Stil aus dem Jahr 1632. Die nahe gelegene Kirche ist mehr als 100 Jahre älter.
Am Sonntag feierten wir deshalb 500 Jahre evangelische St. Trinitatis Kirche Königswalde in einem Kirchweihfest. Bei diesem Festgottesdienst waren selbst auf beiden Emporen alle Plätze bis auf den letzten besetzt. Die Gemeinde kann auch außerhalb solcher Feste nicht über mangelnden Kirchenbesuch und Überalterung klagen, hier ist das Gemeindeleben noch mehr als intakt.
Ist uns wirklich bewusst, was wir haben?
Zwischen Musik des Bläserensembles und Glückwünschen der Nonnen der Christusbruderschaft im oberfränkischen Selbitz führte Pfarrer Seltmann in seiner Predigt quer durch die Jahrhunderte der Geschichte der Kirche. Viele kirchliche Umbrüche in den letzten Jahrzehnten, dazu der Corona Lockdown, der die Gemeinde nachhaltig getroffen hat. Auch der anhaltende Krieg in der Ukraine, der barbarische Überfall der Hamas auf Israel und alle daraus folgenden kriegerischen Handlungen lassen nicht kalt. Wie schlimm diese Zeit jetzt ist, so Seltmann. Ausgerechnet bei 500 Jahren Jubiläum. Aber der Blick in die Geschichte hilft, denn viele Generationen vor uns haben viel schlimmere Zeiten als wir erlebt.
Eine Kirche, die in den Wirren der Reformationszeit gebaut wurde, im Ort verlief die Grenze zwischen dem Kurfürsten- und Herzogtum Sachsen, zwischen Protestanten und Katholiken. Die Wege zur Kirche aus anderen Dörfern waren gefährlich, damals gab es noch Wölfe und Bären. Der Ort wurde vor den Bauernkriegen bewahrt. Der Dreißigjährige Krieg setzte jedoch auch zu, am 21. August 1632, als kaiserliche Truppen in den Ort einfielen und grauenvoll wüteten. Die Kirche wurde niedergebrannt. Die Bewohner fingen sofort noch mitten im Krieg an, die Kirche wieder aufzubauen, bevor sie ihre eigenen Häuser wieder errichteten.
Unsere Geschichte lehrt uns den Wert des Friedens
Das ist das letzte Mal, als das Dorf mit seiner Kirche vom Krieg betroffen war. Ob das den Königswalderinnen und Königswaldern bewusst ist? Trotz der Napoleonkriege und den zwei Weltkriegen? Und den furchtbaren Hungersnöten Mitte des 19. Jahrhunderts? Der damalige Pfarrer Brückner schrieb dazu in einem Bittbrief:
Ewiger und erbarmender Gott. Was für elende Menschen, blass wie Leichen. Hier sieht man ausgehungerte Eltern, zerlumpte Kinder und geschwollene Alte. Kläglich weinende Witwen und Waisen. Alle schreien nach Brot, oft um einen Bissen Brot. Diese haben keine warme Stube, keine Bedeckung, kein Bett.
Seltmann macht eine Pause. Die kommunistisch-faschistischen Diktaturen brachten viel Sorge in den Ort. Der Kirchenbesuch war aber auch in der DDR zahlreich, mein Opa führte die Gemeinde in den 1970er und 1980er Jahren.
Lernen wir durch unsere Geschichte Barmherzigkeit? Wissen wir zu schätzen, dass diese Kirche schon seit 500 Jahren existiert, trotz aller Umbrüche? Vergessen soll die Gemeinde nicht, was sie hat. Es sei kein eigener Verdienst, dass man auf 500 Jahre zurückblicken könne, sondern alleinig Gottes Gnade.
Wenn ich mir das heutige Weltgeschehen anschaue, dann ist ein andauernder Friede von fast 400 Jahren in einem Ort tatsächlich etwas Außergewöhnliches. Es ist wichtig, sich das immer wieder vor Augen zu führen. Denn Frieden ist nicht selbstverständlich. Er ist zerbrechlich. Ich durfte in einer Zeit des Friedens groß werden. Nie habe ich Krieg miterlebt, nie wurde mein Lebensort zerstört, nie musste ich um gefallene Familienangehörige trauern. Das alleine gebietet es dankbar zu sein. Und die Verantwortung zum Frieden zu begreifen.